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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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erwähnen wollen, hätte er das vor geraumer Zeit tun sollen, doch jetzt war der Zeitpunkt, sie zu erwähnen, verstrichen.
    Und gab es zwischen den beiden Optionen, die Ellie so krass darlegte, überhaupt eine Wahl? Begriff er denn nicht, sagte sie, als sie seinen Scheinwiderstand spürte, seine im Voraus aufkommenden Schuldgefühle, dass es auf der Welt auch so etwas gab wie einen Glücksfall, dass der Wind auch mal zu ihren Gunsten wehen konnte? Außerdem, Herr im Himmel, Jack, hatten sie nicht ihre Zeit abgeleistet und sich lange genug in Geduld geübt?
    Durch das Fenster vor ihnen sahen sie, wie sich das Laub der Eiche im Sonnenschein regte und sein Einverständnis zu geben schien. Für einen solchen Blick, hatte Ellie gesagt, würden die Menschen bezahlen. Viel Geld.Der Molkereigenossenschaft war der Blick piepegal. Da würde man eher über die Kosten, den Baum fällen zu lassen, nachdenken.
    Jack hatte den Eindruck, dass Ellie wirklich den besten Moment gewählt hatte   – einen Tag, an dem alles, über das er jetzt Herr und Gebieter war, so gut aussah wie nie zuvor   –, um ihm zu sagen, es sei Zeit, wegzugehen. Sie hätte auch einen düsteren Tag im Februar wählen können. Und sie selbst hatte nie besser ausgesehen, wie eine neue Frau.
    Aber Jack wusste, dass diese neue (aber unverkennbare) Ellie in ihrem Gänseblumenkleid nicht einfach über Nacht gekommen oder dem warmen Sommerwetter entsprungen war. Schon im Jahr zuvor, nachdem Michael das Loch im Baum verursacht hatte und sie beide kurz darauf den Inhalt seines Testaments erfahren hatten, war sie aufgegangen und neu erblüht. Ja, was immer es wert sein mochte, er war alleiniger Herr und Gebieter.
    Und sie war noch mehr erblüht, dachte er, als Jimmy   – der distelzähe Jimmy   – gegen Ende des Winters, Frühlingsbeginn krank wurde. Eine langsame Krankheit, aber mit eindeutigem Ausgang, ein bisschen wie bei Luke. Leber und Lungen. Beides, so schien es. Je schlechter es Jimmy ging, desto besser sah Ellie aus. Im Mai wurde Jimmy ins Krankenhaus eingeliefert, wo er   – war es der Schock, nicht mehr auf der Farm zu sein, auf der er sein ganzes Leben verbracht hatte, oder war er, nachdem er gesehen hatte, wie es nach dem Rinderwahn weiterging, einfach bereit aufzugeben?   – ziemlich schnell starb.
    Und Ellie hatte nicht aufgehört zu blühen, was jetzt mehr als sichtbar war. Aber sie hatte auch Grund zumBlühen, trotz des kranken Vaters, den sie zu pflegen hatte, wenn sie die ganze Zeit den Brief in der Tasche trug. Er war Mitte Januar datiert. Sechs Monate lang hatte sie kein Wort darüber gesagt. In gewisser Weise war das völlig verständlich. Was für einen Sinn hatte es, jemandem den Inhalt des Briefes mitzuteilen, solange Jimmy, so krank und schwach er war, immer noch Besitzer der Westcott Farm war und sie, Ellie, seine Leibeigene?
    Jack war nah dran, sagte aber nichts zu Ellie über die lange Zeit, die sie den Brief für sich behalten hatte. Er verstand allerdings, dass
er
jetzt Ellies Leibeigener war. (Aber war er das nicht schon immer gewesen?) Er hatte das Gefühl, dass der Brief ihm jedes letzte Argument, jedes letzte Körnchen Luxton-Stolz nahm. Die Oberhand? Er war jetzt in Ellies Händen. »Sie beide«, nicht »er«. Er wusste   – an der Farm festzuhalten, bei aller sommerlichen Pracht, war nur ein Bild. Ellie hatte es mit ihrem Finger durchbohrt. Jetzt zeigte sie in Richtung ihrer beider Zukunft.
    Er senkte den Kopf zu seinem Becher Tee, behielt aber den Ausblick im Auge.
    »Freu dich doch, Jacko«, hatte Ellie gesagt. »Lass locker. Was haben wir schon zu verlieren?«
    Er hätte sagen können, alles, was er vor sich sah, habe er zu verlieren.
    Ellie streichelte seinen Arm. »Menschen gehen fort«, sagte sie. »Menschen finden ihren Weg und wagen etwas.« Dann sagte sie: »Meine Mutter hat es so gemacht.« Sie hätte auch sagen können: »Und hat es sich für sie nicht ausgezahlt?«
    Dann sagte sie auf ihre Art das, was er zuerst hätte sagensollen, auf seine Art. Das, was er zuerst hätte aufbringen sollen, aber anders.
    »Und Tom hat das auch getan.«
    Darauf sagte er nichts. Er versuchte, die Antwort dazu zu finden. Der Name »Tom« war wie ein kleiner Aufschlag im Zimmer. Aber Ellie war auch jetzt die Erste, die sprach. Sie sah ihn zärtlich an.
    »Wenn es ihm wichtig wäre, Jack, wenn er seinen Teil wollte, hätte er sich doch inzwischen gemeldet, oder? Wenn er es noch nicht mal fertigbringt, dir zu sagen, wo er ist  

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