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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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besser   – wegen des Segels über ihm   – wieein Riesenbaby, das der Storch bringt. Falls er überhaupt etwas gedacht hatte, dann das: Ich bin Jack Luxton, aber ich kann das. Knapp hundert Kilo schwer, ein Meter zweiundachtzig groß, Schuhgröße fünfundvierzig, aber eigentlich so leicht wie eine Feder, so leicht wie Luft.
    Als er in die Luft emporgehoben wurde, konnte er das Innere der Insel sehen, jenseits der Grenzen des Badeortes. Er sah, dass der Badeort mit seinen leuchtend grünen und blauen Farben wie eine Insel am Rande einer Insel war. Irgendwo in der Ferne sah er Rauchsäulen. Vielleicht wurden Ernteabfälle verbrannt.
    Und die ganze Zeit, während er in der Luft schwebte und Ellie und er in der heißen Sonne von Sapphire Bay lagen und an eisgekühlten Champagner für Helden zum Abendessen dachten, war Tom in der heißen Sonne im Irak.
     
    Das mit außerhalb der Saison hätte sie nicht sagen sollen. Wenn es aber im August gekommen wäre. Bei Hochbetrieb? Was hätten sie dann getan? Weitergemacht? Weitergemacht, aber auf dem Platz eine Flagge auf Halbmast gesetzt? Sie hatten gar keine Flagge. Sie hatten auch keinen Fahnenmast. Er wurde manchmal der Kommandant genannt, und das Platzbüro wurde manchmal die Wache genannt, aber sie hatten keinen Fahnenmast. Vielleicht hätten sie daran denken sollen, mit all den anderen Dingen, eine Lookout-Fahne in der Brise, Gold auf schwarzem Grund, wie die Baseball-Kappen.
    Weitergemacht, aber eine Erklärung abgegeben? Weitergemacht und sich den Fragen, dem Mitleid, der Bestürzung gestellt   – sobald es nicht mehr ihre persönlicheBenachrichtigung war, sondern eine Nachricht in den Zeitungen, mit Namen und Fotos? In den Zeitungen, die im Laden auf dem Platz verkauft wurden. Wir wussten gar nicht, dass Jack einen Bruder hatte, das hat er nie gesagt. Einen Bruder in der Armee. Meine Güte.
    Hätte es die Stimmung der Feriengäste beeinträchtigt? Hätten sie mit gleicher Begeisterung ihre Grillabende machen können?
    Aber die Nachricht war im November gekommen, und im Frühling würde sie der Vergangenheit angehören. Und wenn die Stammferiengäste sie unterdessen bemerkt hätten, wenn sie den Namen in der Zeitung gelesen und die Verbindung hergestellt hätten, dann hätten er und Ellie die Fragen, welcher Art auch immer, beantworten und sich zu der Sache verhalten können, ohne noch unmittelbar unter Schock zu stehen.
    Aber so, wie es jetzt aussieht, denkt Jack, werden sie sich überhaupt nicht verhalten müssen. Er sieht auf den Platz hinunter. Das hatten sie getan, mit beträchtlicher Hilfe von »Onkel Tony«, den keiner von ihnen gekannt hatte und der jetzt tot war, der aber hier gelebt hatte, wie sie erfahren hatten, zusammen mit Ellies Mum (ihrem dritten Mann, der offenbar der Richtige für sie war)   – sie hatten den Platz »The Sands«, wie er damals hieß, übernommen.
    Menschen konnten hilfreich sein, indem sie starben, indem sie zur rechten Zeit starben. War das immer schon Ellies Einstellung gewesen? Auch in diesem Fall?
    Und vielleicht hätten die Stammferiengäste, die in ihren Häusern irgendwo im Land saßen, gar nichts bemerkt. Doch
das hier
würden sie bemerken, denkt Jack,diese Geschichte bemerken sie bestimmt. Die andere Geschichte, die war nicht so bedeutsam, kam heutzutage nicht einmal unbedingt in die Schlagzeilen, auch wenn Luxton kein besonders üblicher Name war.
    Es gab einen Krieg, das war die Geschichte. Aber wer wusste das schon oder wollte das wissen, hier, in Sands End? Ein Krieg gegen den Terror, so wurde es gemeinhin gesagt. Jack wusste, dass Terror etwas war, das man in sich drin spürte, was also konnte ein Krieg gegen den Terror anderes sein, als ein Krieg gegen sich selbst? Tom hatte bestimmt Terror kennengelernt, mehrmals sogar. Er hatte ihn sehr wahrscheinlich erst kürzlich noch gespürt. Man sagte nichts Besonderes, wenn man sagte, dass er dazu ausgebildet war, dem Terror entgegenzutreten.
    Spürt Jack jetzt, in diesem Moment, mit dem Gewehr hinter sich, Terror? Erstaunlicherweise nicht. Terror ist nicht das Wort für das, was er empfindet. Hat er Terror je gekannt? Das ja.
    In Wirklichkeit war natürlich Krieg gegen den
Terrorismus
gemeint. Doch dann wurde daraus eine Frage von Wer und Wo, eine Frage von Geografie. War es vorstellbar, dass Terroristen   – islamische Extremisten   – sich eine Ferienanlage auf der Isle of Wight aussuchen würden, als Ausgangsbasis für ihre Operationen? Oder dass sie,

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