Wärst du doch hier
aber, möglich war’s, vielleicht im letzten Moment den Kopf gesenkt habe. Möglich. Auch konnte er sich nicht sicher sein, ob Dad den Bruchteil einer Sekunde, bevor er abdrückte, gesagt hatte: »Adieu, Luke.« Oder ob es der Bruchteil einer Sekunde danach gewesenwar. Oder ob er, Tom, sich eingebildet hatte, dass Dad das gesagt hatte. (Jack hörte zu und dachte: Tom hat es gesagt, Tom hat es zu sich selbst gesagt. Er hat es laut gesagt oder still zu sich, aber er war es selbst.)
Aber nachdem er den Schuss abgefeuert hatte, erzählte Tom, habe Dad sich umgedreht, und noch als er das Gewehr aufklappte und die nicht verwendete Patrone rausnahm, habe er laut und deutlich gesagt: »Und ich hoffe, eines Tages, wenn es nötig ist, besitzt jemand den Anstand und tut das Gleiche für mich.«
Dad sei zum Pick-up gegangen und habe das Gewehr verstaut. Dann habe er die Spaten genommen, die im Gras lagen, und Tom einen hingehalten. Tom erzählte nicht, ob er ihn so hingehalten habe wie vorher das Gewehr, oder ob er beispielsweise gesagt hatte: »
Das
wirst du hoffentlich können.« Aber anscheinend hatten sie ab da nicht mehr miteinander gesprochen, außer dass Dad sagte: »Tiefer.« Und nach einer Weile wieder: »Tiefer.«
Tom erzählte, es sei ein gutes, sicheres Grab, kein Fuchs, der aus dem Wäldchen kam, würde es aufstöbern.
Schließlich habe Dad gesagt: »So, es reicht.« Dann habe er Luke aufgehoben, was noch von ihm da war, und habe ihn, indem er in die Knie ging und sich streckte, in die Grube gelegt. Dad hatte den Schuss abgegeben und Dad hatte Luke in die Grube gelegt, und jetzt sagte er zu Tom: »Gut, füll es auf.«
Dann sei er zum unteren Gatter gegangen, in den Brinkley Wood, wo das kleine Rinnsaal am Waldrand durch den Graben lief, und habe sich gesäubert. Tom sagte,eine Menge Blut und anderes seien auf dem Gras zurückgeblieben. Die Krähen und Bussarde und das Wetter müssten sich darum kümmern. Tom sagte, es habe ausgesehen wie die Nachgeburt eines Schafes.
Sie beide hätten mit ihren Spaten die Erde festgeklopft. Falls es die Frage einer Grabmarkierung gab – eines Grabsteins –, so sprachen sie nicht darüber. Auf alle Fälle gäbe es in dieser Ecke der Wiese eine kleine, bewachsene Erhebung. Sie würden die Stelle kaum vergessen.
Dann seien sie zurück zum Haus gefahren, mit dem Gewehr und den Spaten, und zwischen ihnen die Luft – das sah Jack sofort, als sie auf den Hof kamen – zum Schneiden. Erst als Tom den ganzen Hergang erzählt hatte – und dazu brauchte er eine Weile –, verstand Jack warum.
Aber die Luft (in der die fliegenden Ameisen umherschwirrten, denen nicht mit kochendem Wasser der Garaus gemacht worden war) war ohnehin schwer und drückend, drückend von dem schwülen Augustwetter, aber drückend auch von dem seltsamen, hohlen Gewicht, weil da, wo einst vier gewesen waren, jetzt nur noch drei waren. So wie vorher nur noch vier da waren, wo einst fünf gewesen waren.
18
Jack fuhr von der Fähre in das Treiben der morgendlichen Straßen von Portsmouth. Niemand hatte ihn angehalten oder mit besonderem Interesse betrachtet, aber dass er die Sonnenbrille von dem Sonnenschild nahm, lag nicht nur daran, dass die niedrig stehende Sonne blendete. Sein Instinkt gebot ihm, sein Gesicht zu verbergen. Es war absurd zu denken, dass man ihn erkennen könnte, aber mit dem weißen Hemd und der schwarzen Krawatte fühlte er sich sogar im Auto furchtbar auffällig. Er hatte unbehelligt das Festland erreicht, aber jeden Moment, so glaubte er, als er im Strudel der zielstrebigen Verkehrsströme seinen Weg zu finden hoffte, könnte er angehalten und aufgefordert werden, sein Vorhaben zu erklären. Und was würde er dann sagen?
Ich hole meinen Bruder ab.
Als die Fähre anlegte, hatte sich der Knoten der Angst in seinem Magen zusammengezogen. Er sagte sich, ohne klaren Grund, dass Unschuldige nichts zu befürchten haben.
Angestrengt suchte er nach Wegweisern – sein inneres Gefühl verlangte, möglichst schnell aus der Stadt, in die er unversehens hineingeraten war, wieder herauszukommen. Portsmouth war beileibe keine große Stadt, abergroß genug für Jack, der sein Leben lang nichts mit Städten zu schaffen gehabt hatte – außer, dass er zur Kenntnis nahm, dass die meisten Feriengäste im Lookout-Park Bewohner von Städten waren. Schon das Wort »Stadt« war ihm fremd, wie auch das Wort »Staatsbürger«, aber der zweite Begriff hing, das erkannte er, einer
Weitere Kostenlose Bücher