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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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Erklärung gleich über dieser Reise.
    Als Jack acht Jahre zuvor, um die Ferienreise in die Karibik machen zu können, einen Pass erwarb, begriff er, dass er jetzt ein Staatsbürger war. So stand es da. Bis zu dem Zeitpunkt war ihm allein die Idee, einen Pass zu besitzen, lächerlich vorgekommen. Eine Farm war sich selbst Land, manchmal auch Gesetz genug. Und was den Status des Staatsbürgers anging   – Staatsbürger lebten wohl kaum auf einer Farm. Doch anscheinend brauchte man nicht in einer Stadt zu wohnen, um ein Staatsbürger zu sein. Oder um einen Pass zu benötigen. Ein Pass bestätigte nur das, was sowieso zu einem gehörte. Selbst kleine Babys   – auch solche, die auf einer Farm geboren waren   – galten als Staatsbürger. Es war ihr Geburtsrecht.
    Trotzdem war es Jack seltsam vorgekommen zu entdecken, dass er ein Staatsbürger war und dass er das, wenn er vom Flughafen in Gatwick aus verreisen wollte, beweisen musste. Der Flughafen selbst war ihm wie eine unheimliche, bedrohliche Stadt vorgekommen, und als er sich mit den Mengen langsam vorwärtsbewegte und seinen sauberen, neuen Pass vorzeigte, hatte er sich nicht als Staatsbürger gefühlt. Eher wie eine Kuh zur Melkzeit.
    Doch erst kürzlich hatte er gedacht, wie beschämend es gewesen wäre, wenn Major Richards ihm gesagt hätte,er solle seinen Pass mitbringen, und er gesagt hätte: Ich habe keinen.
    Auch jetzt fühlte er sich nicht als Staatsbürger. Dabei wusste er unausweichlich, dass er gerade jetzt einer war. Es kam ihm vor wie eine Anmaßung, wie eine Beschuldigung sogar, dabei wusste er, dass es das genaue Gegenteil sein sollte: ein Privileg, ein Schutz, eine Garantie. Die Tatsache, dass er ein Staatsbürger war, müsste eigentlich den primitiven Knoten der Angst in seinem Magen auflösen.
    Sollte er angehalten werden, hätte er seinen Pass. Nicht nur das: In seiner Jackentasche hatte er noch andere Papiere (nicht alle hätte er laut Major Richards bei sich haben müssen). Er hatte einen Brief vom Innenminister, persönlich unterschrieben. Wahrhaftig. Er hatte einen Brief und eine Einladung vom Colonel des Regiments. Wer sonst in dieser Flut des morgendlichen Verkehrs trug bessere Ausweispapiere bei sich, wer war besser befugt, seinen Geschäften nachzugehen?
    Eigentlich sollte es so sein, sagte Jack zu sich selbst, dass er, statt angehalten zu werden, durchgewinkt würde, mit respektbezeigendem Salut. Eine Spur müsste für ihn freigegeben werden.
    Aber er musste aus dieser Stadt raus.
     
    Er las die Wegweiser: London, Southampton, Winchester. Richtung London war auf jeden Fall verkehrt. Zu seiner Linken passierte er die einer Befestigung ähnelnden Mauern des Dockyard. Nicht nur eine Stadt, sondern auch ein Marinestützpunkt. Er selbst war auf dem Weg zu einem Luftstützpunkt.
    Der Trichter der M275 fand offensichtlich ihn, nicht er den Trichter, und brachte ihn zu der M27   Richtung Westen. Entlang der M27 waren städtische Siedlungen: Auch Southampton war eine Stadt. Er musste sich von diesem Gebiet der dichten Besiedlung befreien. Auf der Autobahn trat er aufs Gas, doch nach ein paar Meilen verlangsamte er die Fahrt wieder, weil er weder das Bedürfnis noch den Wunsch hatte, sich zu beeilen, und nur Gefahr lief, absurd verfrüht einzutreffen. Trotzdem, umgeben zu sein von großen Menschenmengen   – jeder einzelne in der Menge ein Staatsbürger   – bedrückte ihn. An den Ausläufern von Southampton wechselte er zur M3, und erst als er Winchester hinter sich gelassen hatte, von der Autobahn abfuhr und über den breiten Gürtel der Hampshire Downs Richtung Norden fuhr, fühlte er sich ruhiger, allerdings nicht für lange.
    Große, sonnenerleuchtete Landflächen lagen vor ihm, aber Wolken ballten sich rasch darüber zusammen. Wichtiger noch war, dass ihn diese offene Landschaft mit dem ungehinderten Blick auf die Straße vor ihm unbarmherzig und allzu schnell zu seinem Ziel beförderte. Bei der Vorbereitung auf die Ungeheuerlichkeit dieser Reise war ihm die Geringfügigkeit der Entfernung nicht klar gewesen. Sowohl in Meilen als auch in Stunden hatte er bereits die Hälfte hinter sich.
    Er fuhr an Newbury vorbei und hielt kurz vor dem Kreuz mit der M4 an einer Raststätte, um zur Toilette zu gehen und ein bisschen Zeit totzuschlagen. Es war noch nicht zehn Uhr   – doch schon beim reflexartigen Blick auf die Uhr, mit dem er das Vergehen der Minuten feststellte, brach ihm der Schweiß aus. Der feste Knoten in seinemMagen machte

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