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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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für diese Zwecke geeignet war. Eine Hundedecke mit der Hand zu waschen, ist eine schwierige und geruchsintensive Angelegenheit, aber Tom machte es sehr sorgfältig. Der Geruch war Lukes Geruch. Erst nach mehreren Durchgängen des Waschens, Spülens und Wringens hängte er die Decke   – wie er das mit der Bettwäsche auch machte   – auf die Leine im Hof, wo sie in der warmen Augustluft bald zu trocknen begann. Nichts blieb von Lukes Geruch, nur der seifige, luftige Duft von etwas, das gut gewaschen war.
    Aber Tom war noch nicht fertig. Als die Decke nochklamm war, nahm er sie von der Leine und brachte sie tatsächlich zum Bügeln ins Haus, wozu er ein feuchtes Geschirrtuch darauf legte, um die Knicke auszubügeln. Dann faltete er die Decke ordentlich zu einem länglichen Viereck, und als sie trocken war, trug er sie auf ausgestreckten Unterarmen ins große Schlafzimmer. Mum hatte dafür gesorgt, dass alle erdenklichen Dinge   – wie die hölzerne Wiege   – im großen Schlafzimmer aufgehoben wurden, obwohl sie nicht länger gebraucht wurden. Und Dad konnte jetzt nicht sagen: »Ich will das nicht. Ich will das Ding nicht da oben haben.« Das tat er auch nicht. Tom legte die Decke in das oberste Fach des Kleiderschranks, zu den anderen alten Decken, wo, wie er wusste, Vera sie hingelegt hätte.
    Dann trug er Lukes Korb zu dem Gartenfeuer, das immer neben dem Misthaufen glomm, und zündete ihn an.
    Was immer Dad von Toms Vorgehen hielt, nie entfernte er die Decke aus dem Schlafzimmer. In kalten Nächten hatte er sogar die Möglichkeit, sie aus dem Schrank zu nehmen und sich überzulegen. Schließlich war es nur eine Decke. Ja, Jack weiß sogar, dass einmal, in einer kalten, frostigen Nacht, sein Vater genau das tat   – das einzige Mal, soweit Jack wusste. Aber er hatte nie jemandem davon erzählt.
    Was hätten die Leute gedacht, wenn er erklärt hätte, dass er die Decke vorher nie auf dem Bett gesehen hatte und dass es in Wirklichkeit eine Hundedecke war? Wenn er die ganze Hundegeschichte erzählt hätte? Jemand hätte denken können, er habe das nur erklärt, weil er selbst die Decke dorthin gelegt hatte. Er hatte also in dem Moment richtig gehandelt   – was nach Jacks Erfahrungin den meisten Fällen bedeutete, den Mund zu halten oder nur wenig zu sagen.
     
    Sie sollte jetzt genau hier liegen, denkt Jack, auf dem Bett hinter ihm, unter dem Gewehr. Das allein wäre angemessen. Aber stattdessen war sie mit dem ganzen anderen Kram (von Werkzeugen bis hin zu Teelöffeln), den Ellie »aussortiert« hatte   – zur Versteigerung, zum Verkauf, zum Wegwerfen, an Wohltätigkeitsorganisationen (Wohltätigkeit!)   –, weggekommen, bei dem, was Ellie ihr »Klar-Schiff-Machen« nannte.
    »Klar Schiff, Jacko, wir müssen klar Schiff machen.«
    Gut, aber das Gewehr war nicht dabei gewesen.
     
    Als Tom endlich Jack in seinen Plan, sich von der Jebb Farm abzusetzen   – nur wenige Wochen, bevor es soweit war   –, einweihte, sagte er, an dem Tag, als er Lukes Decke gewaschen und gebügelt habe, sei er zu der endgültigen Entscheidung gekommen. Für ihn sollte es die Armee sein   – auch wenn er sich noch eine Weile gedulden musste. Die Armee konnte ihn aufnehmen. Für ihn das Ende der Jebb Farm. Als er Jack davon erzählte, hatte er längst alles herausgefunden und die Formulare bekommen, die mit seinem achtzehnten Geburtstag wirksam würden. An einem Tag, gut zwei Monate nachdem Luke getötet worden war   – der November und Remembrance Day rückten näher   – hatte Dad Tom freigegeben und ihm mit knurrender Miene eine Handvoll Zwanziger gegeben (vielleicht sollte es die Sache zwischen ihnen bereinigen) und gesagt, Tom solle nach Barnstaple fahren und sich einen Anzug kaufen. Er könne nicht länger inseinem Schuljackett erscheinen. Aber Tom war mit dem Bus nach Exeter gefahren, hatte im Oxfam-Laden einen Anzug gekauft und das restliche Geld eingesteckt, dann war er zu einer Army-Recruitment-Stelle gegangen.
    Jetzt wusste er, was er zu tun hatte.
    Vielleicht sind in der Armee Männer gern gesehen, die nicht nur schießen können, sondern auch den Wert einer Wolldecke schätzen und eine Wolldecke sorgfältig behandeln. Wolldecken und die Armee, das gehört zusammen. Immer wenn Jack daran dachte, wie Tom die Wolldecke gebügelt und so sorgfältig gefaltet hatte und sie dann auf vorgestreckten Armen getragen hatte, als wäre es Luke selbst, war da etwas, das er nicht erklären konnte. Jetzt kann er das.

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