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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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Es war, als würde er eine Fahne so behandeln.

20
    Es war nicht wie Gatwick Airport. Und doch war es wie Gatwick Airport. Es war sogar ein bisschen wie eine Stadt, der man sich durch ihren eigenen Versorgungsvorort näherte.
    In Jacks Kopf hatte sich seit einigen Tagen der Begriff »Flugfeld« eingenistet, der eine fast beruhigende Vorstellung von etwas weckte, das mit Gras bewachsen und unbeachtet war, aber das hier, wurde ihm schlagartig klar, war alles andere als eine Nebensächlichkeit. Es war ein Ort in der Mitte Englands, ein Drehkreuz und   – kein Zweifel   – unerbittlich und unablässig in Betrieb. Es gab, wie er bald sah, ein eigenes Terminal, eigene Check-in-Bereiche und Autovermietungsbüros, und die Luft roch und schmeckte nach der fortwährenden Betriebsamkeit von Auftanken und Langstreckenflügen. Und so wurde er, obwohl er nie zuvor an einem solchen Ort gewesen war, an nichts so sehr erinnert wie an seine erste Erfahrung, zusammen mit Ellie, von Gatwick Airport.
    Wieder hatte er das Gefühl, gleich zum ersten Mal durch den unheilvollen Durchgang mit dem Schriftzug »Departures« darüber zu gehen und dann (nach langem, strapaziösem Anstehen und Warten) angegurtet in der einzwängenden Röhre eines Flugzeug sitzen zu müssen, inder er im nächsten Moment in den Himmel geschleudert werden würde. Ellie hatte vor lauter überschäumender Aufregung seine Hand ergriffen   – ein bisschen so wie damals, als sie ihn das erste Mal im Haus der Westcott Farm die Treppe hinaufzog   –, aber er hatte, was er sich allerdings nicht anmerken lassen wollte, ihre ergriffen wie ein großer Junge, der sich an seine Mutter klammert. In dem Moment war ihm klar geworden, wie ungeheuer erstrebenswert ein Ferienaufenthalt in einem Wohnwagen war.
    Nur bestand hier der große und ins Auge stechende Unterschied darin, dass nichts von der offenkundigen und vielfältigen Zielstrebigkeit mit Ferienreisen zu tun hatte.
     
    Er fand das Haupttor und die Eingangskontrolle   – an dieser Stelle musste er seinen Pass und die anderen Dokumente vorzeigen. Er wurde hier, wie er fand, mit deutlichem Respekt behandelt und weitergeleitet, als wäre er ein VIP.   Gleichzeitig hatte er jedoch das Gefühl, dass der Grund für sein Hiersein nur einer von vielen war, ein ungewöhnlicher Grund unter den von allen Seiten unsanft drängenden Gründen. Die Betriebsamkeit wurde nicht eingestellt, bloß weil er aus seinem Grund da war.
    Improvisierte Schilder zeigten den Weg zur »Zeremonie der Repatriierung«. Unter den Schriftstücken, die Major Richards ihm geschickt hatte, war auch ein »Besucherpaket«, das einen Lageplan, eine Wegbeschreibung und eine Liste enthielt. Außerdem gab es eine »Zeremonienordnung« und eine »Vorläufige Liste der Anwesenden«. Insgesamt war es so viel, dass er es nicht alles bei sich tragen konnte, und er hatte das meiste in die Seitentascheseiner Übernachtungstasche gesteckt, mit dem Gedanken, dass es sich kaum unterschied von dem ganzen Kram, den man zusätzlich zu seinem Pass in der Abflughalle bei sich trug. Aber natürlich war sein Anliegen jetzt eins, das dem Anschein nach viel einfacher war (und normalerweise keiner Dokumente bedurfte) und wofür Jack bisher nie einen Flughafen-Terminal betreten hatte, nämlich eine Ankunft.
    Ich bin hier, um meinen Bruder abzuholen.
    Dass sie plötzlich so nah war, die Erkenntnis, dass ihm diese unstrittig persönliche Sache bevorstand, und zwar hier, in dieser kalten, unpersönlichen Umgebung, traf ihn wie ein echter Zusammenstoß   – dabei fuhr er mit fünf Meilen pro Stunde vorsichtig weiter und hielt aufmerksam nach weiteren Schildern Ausschau.
    Er fand einen Parkplatz, der ihm der richtige zu sein schien. Obwohl er befürchtet hatte, zu früh zu kommen, war es jetzt fast Viertel nach elf. Die letzten Meilen seiner Reise hatten ihn über besonders schmale Straßen geführt, und so wurde es am Ende (was er aber nicht bedauerte) fast etwas knapp. Der Parkplatz war ziemlich voll, und Jack musste eine Weile nach einer Lücke suchen. Menschen   – teils in bemerkenswerter Bekleidung   – strebten von dem Parkplatz zu einem gewöhnlich aussehenden Eingang mit Glastüren, verhielten sich aber so, als gingen sie auf eine Kathedrale zu. Dies war eindeutig kein kleines Ereignis. Natürlich nicht.
    Nachdem er den Motor abgestellt hatte, verweilte er einen Moment in der Sicherheit seines Autos, als bliebe ihm eine verzweifelte letzte Wahl. Dann atmete er

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