Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
Vom Netzwerk:
sich selbst bemuttern, und das war nicht leicht. Er konnte das. Er konnte ihnen darin ein Vorbild sein. Konnte ihnen einen Knopf annähen, wie es seine Mutter für ihn getan hatte. Den Faden durchbeißen. »Hier, Pickering. Jetzt bedank dich schön.« Auch das ein Grund, warum er zum Sergeanten befördert werden würde. Aber er konnte auch Menschen sauber erschießen. Nicht wie diese nutzlose Sau, die auf Willis geschossen hatte.
    Auch das ein großer Vorteil, wenn man vom Lande kam. Krähen, Tauben, Kaninchen. Er hatte die Ausbildung zum Scharfschützen gemacht und glänzend bestanden. Er brachte der Armee eine nützliche Fertigkeit.
    Allerdings hatte niemand bemerkt, dass er auch seinen Zorn mit in die Armee gebracht hatte. Beim Scharfschießen musste man eiskalt, präzise und sorgfältig sein, es war das Gegenteil von Herumballern. Doch war es sein Zorn, der ihn getrieben hatte, in der kalten Nacht damals,den eisigen Feldweg entlang. Zwei Jahre brodelnden Zorns, fest unter Verschluss. Er hätte ausreißen können, nachdem er von der Schule abgegangen war. Er hätte einfach wegrennen können   – und beinahe hatte er es getan   –, in der Nacht, nachdem sie Luke begraben hatten. Hätte Dad ihn wirklich zurückholen können? Das ist mein Junge, der gehört auf meine Farm, nicht zur Armee. Oder hätte er ausgespuckt und gesagt: »Den wären wir los«? So oder so, er wollte Gewissheit, Klarheit. Bei seinem Eintritt in die Armee hatte er den Zorn von mindestens zwei Jahren dabei.
    Und war das so ungewöhnlich? Die Armee hieß Zorn willkommen. Freute sich, ihn in neue, frische Bahnen zu lenken, ihn vielleicht sogar zu heilen. Wenn man Glück oder Geduld hatte, fand sich vielleicht sogar ein echter Feind, an dem man seinen Zorn auslassen konnte. Und Tom war es gleichgültig, wer dieser Feind war. Krieg gegen den Terror? Das klang wie ein »Tag der offenen Tür« für Feinde, wie eine perfekte Gelegenheit, im Zorn jede Menge eiskalte, disziplinierte Einzelschüsse abzufeuern. Als er das erste Mal auf ein lebendes Ziel schoss und seinen Mann zu Boden gehen sah, spürte er, wie Zorn aus ihm herausfuhr und eine große Welle von Gleichmut und Ruhe ihn überrollte. Jetzt hatte er es getan. Er hatte sogar gedacht, er müsse es vielleicht nie wieder tun, aber natürlich wurde es von ihm verlangt, deshalb war er da. Und was den Mann anging, den er getroffen hatte, so dachte er nicht weiter an ihn.
Der
hatte nichts davon gemerkt. Es war sauberes Töten. Nicht jeder Soldat konnte das, nicht jeder wollte das.
    Doch jetzt war er Corporal und weniger Scharfschütze.Er wurde für eine andere Fähigkeit geschätzt, die die Armee brauchte: Führung. Und das gefiel ihm. Als Scharfschütze war man allein, und in letzter Zeit wurde er nur selten in einem Einzeleinsatz als Scharfschütze eingesetzt. Davon abgesehen unterstanden ihm acht Männer   – sieben, nach Willis. Als er zum Corporal befördert worden war, hatte er sich zum ersten Mal wie ein großer Bruder gefühlt. Jetzt hatte er ein paar jüngere Brüder. Und sein Zorn war verschwunden. Vielleicht hatte er ihn weggeschossen.
    Acht   – jetzt sieben   – Männer. Alles Städter und er der einzige Bauerntrottel, der die Verantwortung hatte. Es lag natürlich am Akzent, an dem breiten rollenden R, das er nicht loswurde, so wie er auch die Erinnerungen an das Melken nicht loswurde. Aber unter den Männern waren keine Milchbubis, besonders nicht nach Willis. Sie waren eine gute Truppe, und so würde es auch bleiben, solange er zuständig war. Einige fanden seine Stimme jetzt sogar besänftigend, wenn er sie nicht gerade anbellte. Es war nicht die natürliche Stimme eines Corporals, es war die Stimme von jemandem, der mit Kühen zu tun gehabt hatte. Vielleicht weckte es bei ihnen Bilder von grünen englischen Wiesen, hier, in all dem Staub und Dreck. Also, das sollten sie besser vergessen. Er hätte ihnen was erzählen können, von grünen englischen Wiesen.
    Eher Anführer weniger Scharfschütze, aber auch er hatte den gleichen, geheimen Wunsch, den sie alle hatten: Wenn der Moment für ihn gekommen war (und sie ohne ihn weitermachen mussten), dass es dann eine saubere Sache war und er nichts davon merkte. Tod durch Scharfschützen wäre ihm recht, und in seinem Fall könnteman das auch fair nennen. Aber nicht, bitte, wie Willis. Rollstuhl-Willis.
    Als dann der improvisierte Sprengsatz unter ihnen explodierte   – und es musste ein riesiger Sprengsatz gewesen sein   –, die

Weitere Kostenlose Bücher