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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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Truppe war gerade auf dem Weg zum Lager, hundemüde, und sehnte sich nach Schlaf, da fand er es nicht fair, aber er konnte nichts daran ändern. Er sah, dass es Pickering und Fuller erwischt hatte, wusste aber nicht, ob hinter ihm jemand verschont geblieben war oder auch nicht. Er konnte sich nicht bewegen, um nachzugucken. Es war der reine Wahnsinn, aber er war klar im Kopf und ruhig und seltsam getröstet, nicht von seiner eigenen rollenden Stimme, die ihm, wie ihm schien, nicht gehorchte, sondern von der Tatsache, dass er nichts hörte. Um ihn herum musste ein gewaltiges Getöse sein, Schreien, Rufen, auch Gewehrfeuer, aber er hörte nichts davon, und er hatte auch kein Gefühl dafür, wie die Zeit verging, falls sie überhaupt verging. Er roch Benzin. Er wusste, dass er unter zerbogenem Metall feststeckte, dass seine Beine eingeklemmt waren, aber er konnte sie weder spüren noch bewegen, konnte nichts bewegen, nicht einmal eine Hand oder, so schien es ihm, seine Lippen. Gut, dann musste jetzt Lance-Corporal Meeks übernehmen, Drückeberger Meeks, falls Meeks noch da war, um sich zu drücken.
    War dies der Terror? Das, wogegen sie kämpften? Er sah den aufglühenden Feuerball, und er wusste, dass er nicht durch den sauberen Schuss eines Scharfschützen sterben würde, sondern dass er verbrennen würde, und er konnte nichts daran ändern, und anscheinend hatte er reichlich Zeit, an anderes zu denken, und die friedlicheStille dazu. Er konnte an etwas denken, nicht daran, dass er in einem explodierten gepanzerten Fahrzeug im Irak feststeckte, sondern dass er hinten im Schulbus saß, mit Kathy Hawkes. Damals konnte er seine Hand sehr gut bewegen, bis in die Fingerspitzen. Und er konnte daran denken, dass er in einem Wohnwagen war, einem Wohnwagen nur mit Jack und Mum. Er konnte sogar an Marilyn Monroe denken. Jetzt wusste er auch, dass er Jack hätte schreiben sollen, dass er wenigstens einen seiner Briefe, die er in einem Ofen in Deutschland verbrannt hatte, hätte beantworten sollen. Er sah die rote, runde Öffnung des Ofens. Er würde jetzt schreiben, wenn er ein Blatt Papier und einen Stift hätte und seine Hand bewegen könnte. Er würde erklären, dass er das Gewehr, das Dad ihm hingehalten hatte, nicht genommen hatte, aus dem einfachen Grund, weil er wusste, er hätte es erst auf Dad gerichtet, dann auf Luke. Oder erst auf Luke, dann auf Dad. Schwierige Frage, gleiches Ergebnis. Ein doppelläufiges Gewehr. Und an dem Ausdruck in Dads Augen hatte er gesehen, dass Dad halb damit rechnete, es sogar wollte, und dass er deshalb das mit dem Anstand gesagt hatte. Und er hatte gewusst, als Dad sich mit dem Gewehr abwandte, dass er, Tom Luxton, den Tötungsinstinkt hatte. Und dass er ihn unter Verschluss halten musste.
    Deshalb bin ich zur Armee gegangen, Jack. Jetzt bin ich hier, im sonnigen Basra. Wärst du doch hier. Nein, eigentlich nicht. Sag Ellie Grüße von mir.
    Aber er war jetzt auch nicht hier. Er war da. Er war wieder auf dem Barton Field. Da war die große Eiche, ihre Blätter streiften den weiten blauen Himmel. Aber keinDad, kein Luke, kein Gewehr. Auch kein Jack. Aber er lag auf dem Barton Field, fast an derselben Stelle, wo Luke erschossen worden war, der die ganze Zeit gewusst hatte, dass es so kommen würde. Es war Sommer, es war warm, das Gras war voller summender Insekten. Und dann hörte er etwas anderes, es kam näher. Ein Geräusch, das er lange nicht gehört hatte, aber er wusste gleich, was es war, und wenn er jetzt imstande wäre, den Kopf zu heben, könnte er sie gerade so sehen, vielleicht. Es war das unverkennbare, gleichmäßige »mmpf   … mmpf   … mmpf« von weidenden Kühen, das leise, sanfte Rupfen von Kuhmäulern, die Grashalme abrissen. Ein Geräusch, wie es kein besänftigenderes gab, und dazu ganz und gar teilnahmslos.

24
    Ellie sitzt am Holn Cliff und betrachtet die verschwundene Postkartenansicht. Das weiße, sirrende Geschoss einer Möwe, die der Wind hin und wieder vorbeischleudert, ist das einzige Zeichen dafür, dass da draußen überhaupt noch etwas ist.
    Ihr Leben am Meer, auch das verschwunden, über die Steilküste abgestürzt. Ihr Leben auf der Isle of Wight. Einmal war sie hergekommen, ganz allein, um es sich anzusehen, als es noch ihr Geheimnis war, ihr Geschenk für später, wie ein ungeborenes Kind. Siebenundzwanzig war sie damals gewesen. Bei schönstem Frühlingswetter. Die Aussicht damals überwältigend. Ihr Vater lag im Krankenhaus und wusste von diesem

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