Wagner und Cordes 05 - Mord im Nebel
Klingelknopf.
Kurze Zeit später saß sie im Esszimmer, blickte auf die weiß gestrichene Wand, an der Original-Ölgemälde des verstorbenen Malers Heinz Sauermann hingen, von dem sie wusste, dass er der Lehrer von Fabians Mutter im Kunst- und Biologieunterricht an der Wilhelmshavener Cäcilienschule gewesen war.
»Warum bist du letzte Woche nicht hier gewesen?«, fragte Ute. Ihr sonst so sorgsam geschminktes Gesicht war farblos und von Tränen verquollen. »Hattet ihr euch mal wieder gestritten?«
Nora zog hilflos die Schultern nach oben. Was sollte sie darauf schon sagen? Die Wahrheit war gänzlich undenkbar. Schlimm genug, dass Ute und Lutz den Tod ihres Sohnes verkraften mussten, da würde sie sich hüten, ihnen zu erzählen, wozu Fabian sie hatte drängen wollen, was der Auslöser für den Streit gewesen war, der letztlich zu ihrer Trennung geführt hatte.
Ute Baumann beugte sich vor und streichelte sacht Noras Hand. »Ich weiß, wie emotional Fabi war. Aber ich dachte, daran hättest du dich in den ganzen Jahren gewöhnt. Fabi ist wie sein Vater. Egal, was er gerade fühlt, alles ist wie aus einem Füllhorn gegossen. Im Überschwang. Da darfst du ihm doch nicht so böse sein, dass du dich eine Woche lang nicht blicken lässt.« Der Vorwurf in Utes Stimme war unüberhörbar.
»Wir haben uns ja gesehen«, verteidigte sich Nora. »Ich war nur nicht hier.«
»Dann ist es ja gut.« Erleichterung klang aus Utes Stimme. »Es wäre kaum auszuhalten, wenn er unversöhnt gestorben wäre.«
Nora räusperte sich.
»Ja?«
»Nichts. Entschuldige. Es ist auch für mich sehr schwer. Darf ich gleich noch mal in sein Zimmer gehen?« Nora schniefte, atmete kurz und unkontrolliert. Ein Füllhorn, ja, das war wohl die richtige Bezeichnung. Sie selbst würde ›alles oder nichts‹ dazu sagen, ›entweder-oder‹. Aber sie würde Ute nichts von der Art Füllhorn erzählen, das Fabian in der letzten Zeit über ihr ausgeschüttet hatte. Es war doch jetzt sowieso egal. Fabian war tot.
»Natürlich darfst du. Möchtest du heute bei uns bleiben?«, fragte Ute. »In Fabis Zimmer? Dann bist du ganz nah bei ihm. Und bei uns natürlich auch. Daran ändert sich nichts, verstehst du? Du gehörst nach wie vor zur Familie.«
»Danke. Aber … das kann ich nicht.« Abrupt stand Nora auf. Hatte Ute denn gar nicht bemerkt, dass ihre persönlichen Dinge nicht mehr in Fabians Badezimmer standen? Am Tag nach dem furchtbaren Streit hatte er kurzerhand einen Müllsack mit ihren Sachen vor die Tür ihres Elternhauses geschmissen. Sie sah Ute um Verständnis bittend an. »Cora. Du verstehst … Ich habe hier kein Futter für sie.«
Und außerdem brauche ich mein eigenes Bett, um mich zu vergraben. Ich glaube, ich würde es nicht aushalten, Fabians Geruch in den Kissen zu riechen. Das aber sagte sie nicht laut.
* * *
Harte Bässe und laute Musik empfingen Volker, als er gemeinsam mit Malte den Musikclub »Kling Klang« betrat. Ingo Insterburg und Helge Schneider waren hier schon aufgetreten, ebenso Nachwuchsbands wie »20 for the first«. Unter den Gästen gab es Urgesteine, die quasi seit der Eröffnung ihre Abende hier verbrachten. Der eine oder andere von ihnen konnte selbst auf eine erfolgreiche Musikkarriere zurückblicken.
»Ich weiß nicht, was wir hier sollen«, beschwerte sich Volker, als Malte ihn mitten in das Getümmel schob. Für einen Dienstagabend war es erstaunlich voll. Er war hungrig, aber für ein frisch zubereitetes Baguette, wie es auf der Speisekarte stand, wäre aufgrund des Andrangs eine ziemliche Wartezeit einzuplanen, und eigentlich wollte Volker auch nur nach Hause, in sein Bett, und das vergessen, was in den letzten zwei Tagen geschehen war.
»Hier kann uns keiner belauschen«, konterte Malte schroff und schob Volker an einen Tisch in der Ecke. Ein Anflug von Wut stieg in Volker auf.
»Verdammt, wir können uns doch auch normal unterhalten. An Bord oder bei dir oder bei mir, ich jedenfalls hab keine Abhörwanzen in meiner Wohnung. Auch keine eingebildeten. Außerdem kann ich überhaupt nicht verstehen, dass du in einer solchen Situation ausgerechnet in einen Musikschuppen gehen willst.« Volker hatte die Faxen dicke. Er nahm sich vor, sich künftig nicht mehr so von Malte lenken zu lassen. Als Fabian noch lebte, war alles gemäßigter und irgendwie ruhiger abgelaufen, obwohl auch bei ihm immer die Post abging. Volker stockte. Als Fabian noch lebte, hatte er gerade gedacht. Das war nur zwei Tage her.
»Es geht
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