Wagner und Cordes 05 - Mord im Nebel
lag Nora Brandis als Herzdame zuoberst auf dem Stapel.
* * *
»Da kann man mal sehen, es gibt doch immer wieder Kleinigkeiten, die gar nicht so klein sind, aber die dir keiner erzählt«, schloss Oda. Sie fuhren in Christines Sportflitzer zurück zur Polizeiinspektion. Oda selbst saß ja lieber in Autos, in die man bequem einsteigen konnte und nicht so nach unten fiel wie bei diesem Teil, aber sie war andererseits auch froh, kutschiert zu werden und auf diese Art, gerade im Winter, nicht bei jedem Wetter auf dem Drahtesel durch die Gegend kurven zu müssen. Oft genug bekam sie dabei einen nassen Hintern. »Dass Nora Brandis und Katharina Arends gemeinsam Judo betreiben, hab ich bislang jedenfalls nicht gewusst. Du etwa?«
Christine konzentrierte sich auf den Straßenverkehr, schüttelte aber den Kopf. »Nein. Ich hab nicht mal gewusst, dass die beiden sich überhaupt kannten.«
»Siehste, ich auch nicht. Da tun sich also noch mal neue Wege auf.«
Inzwischen hatten sie die Polizeiinspektion erreicht, und Christine fuhr wieder einmal so rasant in eine Parklücke, dass Oda nicht nur unwillkürlich auf nicht existierende Bremsen stieg, sondern auch die Augen schloss. Das war etwas, was sie an Christine gar nicht mochte. Und was, das fand Oda jedenfalls, auch überhaupt nicht zu Christine passte: ihr forscher Fahrstil. Obwohl Christine sonst eher distinguiert war und zurückhaltend, benahm sie sich am Steuer ihres Cabrios wie ein Teenager, der gerade den Führerschein gemacht hatte und diesen aufgrund seiner Fahrweise nicht wirklich lang behalten würde.
»Ich werde mich um die Judo-Sache kümmern«, sagte Christine, als sie die ausgetretenen Treppenstufen zu ihrer Abteilung hochliefen. »Denn das ist ja im Hinblick auf die Todesumstände von Fabian Baumann nicht uninteressant.«
Oda folgte ihrer Kollegin in deren Büro. »Stimmt«, sagte sie und ließ sich in voller Montur auf Christines Schreibtischstuhl fallen, während Christine ihre Jacke an den Haken hinter der Tür hängte, die große Ledertasche an einen anderen, und umständlich ihren Block herauskramte. »Bislang sind wir davon ausgegangen, dass der Täter im Fall Fabian Baumann ein Mann gewesen sein muss. Aber die Erkenntnis, dass er von bezaubernden Frauen, die Kampfsport betreiben, geradezu umgeben war, ergibt ein neues Bild.«
»Ja.« Christine setzte sich auf die Schreibtischkante, warf einen Blick auf das Schaubild, das sie am Vormittag gezeichnet hatte, und sagte: »Das muss ich dann wohl noch mal überarbeiten.«
»Ich helf dir dabei.« Oda nahm einen Stift, zog aus dem Zettelkasten ein paar Blätter hervor und reichte sie Christine. Dabei fiel ihr Blick auf den noch ungeöffneten Brief. »Willste gar nicht gucken, was dir dein heimlicher Verehrer schreibt?«
»Nein«, sagte Christine, »lass uns erst das, was wir erfahren haben, in dieses Schaubild übertragen. Ich denke, das wird uns ein ganzes Stück weiterbringen. Wir müssen Nora Brandis mehr in den Fokus rücken. Sie scheint mir nicht das Unschuldslamm zu sein, als das sie sich darstellen möchte.«
»Na, also ich jedenfalls bin neugierig. Guck du dir den Brief an, ich kann hier weiter rummalen.« Oda drückte Christine den Umschlag in die Hand, schnappte sich einen pinkfarbenen Zettel, schrieb »Katharina Arends« drauf und »Judo« und ergänzte die Sportart auch bei der schon vorhandenen Nora Brandis.
* * *
Christine hatte seit jeher eine Abneigung gegen Briefe ohne Absender. Dabei war diese Abneigung logisch nicht zu begründen, denn sie hatte in ihrem Privatleben niemals einen beleidigenden oder bedrohenden anonymen Brief bekommen. Auch auf dem beruflichen Sektor hatten sich derartige schriftliche Hasstiraden in Grenzen gehalten, dennoch sähe sie es lieber, wenn die Post gleich beim Eintreffen in der Polizeiinspektion geöffnet und ihr in einer Postmappe auf den Schreibtisch gelegt würde.
Während Oda sich bemühte, den quadratischen Katharina-Arends-Zettel mit Hilfe einer Schere in runde Form zu bringen, öffnete Christine den Umschlag und zog ein Foto heraus.
Es zeigte einen Mann mit hellblauem Oberhemd und heruntergelassener Hose. Man sah seinen nackten Po, sein Gesicht sah man nicht. Vor ihm schien vornübergebeugt ein anderer Mensch halb auf einem Tisch zu liegen. Er war ebenfalls mit einem Hemd bekleidet, das Gesicht blickte nach links, lag aber im Dunkeln. Den Unterkörper konnte man nicht sehen, er war von der Gestalt des anderen Mannes verdeckt. Doch es konnte keinen
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