Wagner und Cordes 05 - Mord im Nebel
Paddeln mit seinem Cousin im Schlauchboot auf dem von Entengrütze übersäten Teich waren in seiner Kindheit das Größte überhaupt für ihn gewesen.
Er schloss die Haustür auf, nahm die Post aus dem Briefkasten und erklomm die Stufen in den ersten Stock. In der Wohnung stellte er die Einkäufe auf dem Küchentisch ab und sichtete die Schreiben. Werbung eines Telefonanbieters, Post von seinem Fitnessstudio, er solle doch bitte endlich das genormte Bild einreichen, das sie zum Ausstellen der neuen Fitness-Club-Card benötigten. Und ein Umschlag ohne Absender.
Sein Hals wurde trocken.
Zögerlich schlitzte er den Umschlag auf und nahm eine SD -Karte heraus.
Was hatte das zu bedeuten? Angsterfüllt sah er die Karte an. Sein Verstand riet ihm, die Polizei zu informieren. Wenn sich außer seinen noch andere Fingerabdrücke darauf und auf dem Umschlag befanden, wäre das vielleicht ein Schritt in Richtung Aufklärung von Fabians Tod. Es könnte sich ein Muster abzeichnen. Polizisten waren doch immer dankbar für Muster, denen sie nachgehen konnten. Sicherlich würden sie ihn beschützen, wenn er ihnen sagte, dass auch Malte so einen Chip erhalten hatte. Vielleicht würden sie sogar herausfinden, dass es bei Fabian ebenso gewesen war. Dann könnten sie auf ihn aufpassen, denn es bedeutete im Umkehrschluss, dass auch Volkers Leben in Gefahr war.
Er wollte das Telefon aus der Ladestation auf der kleinen Flurkommode im Eiche-Furnier-Design nehmen – ebenfalls ein Relikt aus Omas Zeiten –, als er stoppte. Es wäre wie ein Rennen ins offene Messer, wenn er die Polizei anrief, ohne Kenntnis über die Informationen auf der Karte zu haben. Einen Moment lang starrte er das Telefon an, dann drehte er sich um.
Zurück am Küchentisch dachte er nach. Wer sollte es ihm schon übel nehmen, den Chip angefasst und angeschaut zu haben? Niemand. Vor allem deshalb nicht, weil das Anschauen eine unschuldige Neugierde zum Ausdruck brachte, die jemand, der sich eines Vergehens für schuldig hielt, nie an den Tag legen würde.
Jeder einzelne Fingerabdruck, den er auf dem Umschlag und der Karte hinterließ, würde seine Unschuld untermauern. Seine Unschuld an was auch immer. Ja, das war ein guter Gedanke. Er war völlig ahnungslos, darum konnte er mit allem sorglos umgehen. Und zur Not … Zur Not musste ja niemand erfahren, dass er diese Karte erhalten hatte.
Beherzt fuhr Volker sein Notebook hoch und verstaute derweil seine Einkäufe, wobei er allerdings ständig das Gefühl hatte, von diesem blöden Speicherchip beobachtet zu werden. Eigenartig schlapp setzte er sich auf einen Küchenstuhl. Starrte auf den Umschlag, auf die Karte und ließ seine Gedanken noch einmal Revue passieren. Doch er kam zu keinem anderen Schluss. Wenn auch Fabian so ein Ding erhalten hatte, wäre er der Nächste auf der Abschussliste eines Irren.
Doch wie bekam er heraus, ob seine Überlegungen den Tatsachen entsprachen? Er konzentrierte sich. Das alles war bislang reine Spekulation. Sicher, auch Malte hatte einen Chip zugeschickt bekommen, doch das brachte die beiden Todesfälle nicht miteinander in Zusammenhang. Es musste gar nichts mit ihnen zu tun haben.
Es lag alles im Auge des Betrachters, und was ihm heute noch äußerst kompliziert vorkam, konnte morgen, wenn er darüber nachgedacht und einige Stunden geschlafen hatte, den Druck verlieren und leichter zu überblicken sein. Er durfte nur den Glauben an sich selbst nicht verlieren.
Der PC war betriebsbereit, und er steckte den Speicherchip ein.
Nur eine Datei befand sich darauf.
Er klickte sie an.
Ein Word-Dokument. Ein Foto. Und ein Satz: »Eene, meene, meck … und du bist weg.«
Volker fühlte sich beim Anblick des Bildes, als ob ihm der Boden unter den Füßen weggerissen würde. Fabians Handy war also nicht verschwunden. Irgendjemand hatte es an sich genommen. Sein vager Verdacht gegen Malte kam ihm wieder in den Sinn. Kam dieser Brief von ihm? Hatte er ihn noch aufgegeben, bevor er tödlich verunglückte? Auf dem Weg zur Autobahn womöglich? So ungern Volker es sich eingestand, das würde zu Malte passen. Nach außen hin scheinheilig freundlich und von hinten die Messer wetzen.
Wenn das aber nicht von Malte kam, wenn jemand anderes dahintersteckte? Volker hatte das Gefühl, sich im Kreis zu drehen; er kam sich vor wie eine Katze, die ihrem eigenen Schwanz hinterherläuft. Alles drehte sich in seinem Kopf. Er versuchte, die einzelnen Bilder in einen Ablauf zu bringen, die wichtigen
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