Wagner und Cordes 05 - Mord im Nebel
Informationen herauszufiltern, alles zu ordnen.
Doch nichts davon gelang. Es gab einen Bilderstrudel, ein Chaos aus Emotionen und Eindrücken, an dessen Ende klar war: Volker musste sich an die Polizei wenden.
Aber wenn er das tat, würde alles auffliegen.
Eene, meene, meck …
* * *
»Also, dass das ein erotisches Angebot sein soll, glaube ich eher nicht«, stellte Oda nüchtern fest, während sie das Bild betrachtete, das sie mit ihrem Handy von dem Foto gemacht und auf den PC übertragen hatte. Auch Nieksteit und Lemke waren hier und studierten den Bildschirm. In Christines Büro war es inzwischen bullenheiß. Oda gab innerlich schmunzelnd zu, dass ihr dieser Ausdruck nur wegen der beiden männlichen Kollegen eingefallen war, aber »schiet wat drauf«, es stimmte ja.
»Richtig begeistert scheint die Person auf dem Tisch auch nicht zu sein«, meinte Nieksteit.
»Wie kommst du denn darauf?«, fragte Christine. »Man sieht ihr Gesicht doch nicht.«
»Guckt euch die Körperhaltung an. Die Person liegt doch nur schlapp rum. So scheint es zumindest. Leidenschaftlicher Sex sieht meines Erachtens auch in dieser Position anders aus.«
»Hm. Da haste recht«, stimmte Oda zu. »Da stützt man die Hände auf den Tisch, hat den Oberkörper vielleicht etwas aufgerichtet, den Kopf nach hinten geworfen …«
»Verschone uns bitte mit Details«, bat Lemke rüde.
»Och, lass mich doch«, gab sie belustigt zurück, »gerade du …« Sie sah ihn an und erkannte, sie war mal wieder voll ins Fettnäpfchen getreten. Lemke war schwul, aber nicht alle hier wussten das. »Sorry«, sagte sie und wandte sich wieder an Nieksteit. »Du meinst also, das hier ist die Fotografie einer Vergewaltigung?«
»Das habe ich nicht gesagt«, antwortete ihr Kollege. »Ich hab lediglich darauf hingewiesen, dass die Person auf dem Tisch nicht so aussieht, als hätte sie Spaß.«
»Vielleicht ist sie nach dem Orgasmus auch einfach total geschafft.«
»Oder wir haben es doch mit einer Vergewaltigung zu tun«, griff Lemke trocken Odas Gedanken auf.
»Also ist alles möglich.« Oda seufzte.
»Aber nur in zwei Fällen macht es Sinn, dass mir jemand das Foto zuschickt«, entgegnete Christine. »Nämlich dann, wenn es sich um eine Vergewaltigung oder um eine Affäre handelt, die irgendwie mit dem Fall zu tun hat. Nur, warum schickt man das Bild dann anonym? Und dazu noch so unscharf.«
»Das Bild ist nicht einfach unscharf, es ist bearbeitet worden«, sagte Lemke, ohne seine Nase wie Nieksteit fast direkt an den Bildschirm gehalten zu haben.
»Bearbeitet? Woran siehste das?«, fragte Oda neugierig.
»Wirklich scharf abgelichtet ist nur der Mann im Vordergrund«, dozierte Lemke. »Der gesamte Hintergrund verschwimmt, allerdings stufenweise. Gesicht und Arme der Person, die auf dem Tisch liegt, sind bearbeitet worden, als würden sie im Dunkeln liegen, und keinesfalls zu erkennen. Eine noch deutlichere Entfremdung hat man beim Hintergrund vorgenommen. Da kann man außer Farbschemen gar nichts mehr ausmachen. Ist aber prima gemacht. Hier zum Beispiel.« Mit einem kurzfristig zum Zeigestock umfunktionierten Kugelschreiber wies Lemke auf die entsprechenden Stellen. »Derjenige, der das Foto geschickt hat, kennt sich in der Fotobearbeitung gut aus.«
»Du meinst also, es handelt sich nicht um einen verwackelten Schnappschuss, sondern um ein bearbeitetes Foto?«, fragte Christine.
»Hundertprozentig. Das hier ist im Original gestochen scharf. Nur dann kannst du solche Ebenen hineinbringen. Das ist fast schon Kunst, wenn ich das mal so sagen darf.«
»Also müssen wir im Umkreis der beiden Toten nach einem Fotografen suchen«, sagte Christine.
Oda ergänzte: »Kann auch ein Hobbyfotograf sein, Hauptsache, er versteht was von Bildbearbeitung. Lemke, du würdest dich doch auch nicht als echten Fotografen bezeichnen, bloß weil du tolle Bilder machst?«
Lemke schluckte. Klasse, da war Oda gleich ins nächste Fettnäpfchen getreten.
»Ich meine das natürlich beruflich«, versuchte sie, die Situation zu retten, und nahm sich vor, ihm in den nächsten Tagen als Entschuldigung ein Tartufo vom Italiener mitzubringen; Lemke aß auch im Winter gern Eis.
»Jaja. Ist schon klar.« Lemke nickte, klang aber nicht mehr so aufgeräumt wie noch Minuten zuvor.
»Hey … ich hab das echt nicht so gemeint.«
Er verzog das Gesicht.
»Und ich wollte deine Fotografierkunst auch bestimmt nicht herabwürdigen …«
Lemkes Gesichtsausdruck veränderte sich
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