Wagner und Cordes 05 - Mord im Nebel
war. Volker hatte schon alles erlebt, von glatt gezogener, ruhiger See bis hin zu wütenden Wellen, die jeden Eindringling wegspülen wollten. Das Meer. Seine Heimat, seine Zukunft, seine Sehnsucht. Die Marine. Seine Familie. Sein Halt. Der Rahmen seines Lebens. Er atmete tief durch die Nase ein. Hier gehörte er hin. Hier wollte er bleiben. Er würde nicht zulassen, dass ein einziger Fehler seine Zukunft zerstörte.
Sein Handy piepte. Kurz überlegte er, ob er überhaupt einen Blick darauf werfen sollte, dann fiel ihm die letzte Nachricht ein. Nervös zog er das Telefon aus seiner Hosentasche.
Wieder der anonyme Absender. Diesmal kein Foto. Nur zwei Sätze: »Warte, warte nur ein Weilchen … Bald ist deine Zukunft keine Zukunft mehr.«
Volker starrte das Telefon an. Seit Maltes Tod ahnte er, was hinter den Kulissen ablief. Fabians Tod war kein Unfall gewesen. Und inzwischen hatte er das dumpfe Gefühl, dass derjenige, der diese Nachrichten schrieb, auch Malte bedrängt, ihn vielleicht in den Selbstmord getrieben hatte. Allein der Gedanke daran, dass es möglich war, Malte, diesen Prahlhans, der mit seiner Bauernschläue und dem frechen Mundwerk überall durchgekommen war, der Niederlagen nicht hingenommen hatte, so unter Druck zu setzen, dass er kapitulierte, ängstigte ihn.
Die große Frage blieb: Wer war derjenige, der die Nachrichten schrieb? Er musste Fabians Telefon haben, denn darauf waren die verdammten Bilder gespeichert.
Es gab eigentlich nur eine Möglichkeit. Fabian hatte am Abend vor dem Seglerheim noch mit seinem Handy telefoniert. Am Tag darauf war er tot gewesen. Also hatte er es bei sich gehabt, als er starb. Die Nachrichten, die Volker jetzt bekam, konnten dementsprechend nur von demjenigen stammen, der für Fabians Tod verantwortlich war. Er spürte, wie sich die Angst verdichtete, je mehr seine Vermutung, wer hinter all dem steckte, Gestalt annahm. Er würde einen Versuch wagen. Mehr, als dass nichts passierte, konnte ja nicht geschehen.
Volker wählte Fabians Nummer. Doch anstelle eines Freizeichens hörte er eine automatische Stimme: »Der gewünschte Gesprächspartner ist im Moment nicht erreichbar. Bitte versuchen Sie es später noch einmal. The person you have called is temporarily not available. «
Mit einer Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung legte Volker auf. So blieb ihm noch eine Galgenfrist bis zur endgültigen Klärung seiner Vermutung. Galgenfrist. Was für ein makabrer Ausdruck. Und irgendwie so passend für seine Situation. Doch er würde nicht reglos auf das warten, was geschah. Er würde die Dinge selbst in die Hand nehmen. Mit diesem Gedanken stieß er sich von der Reling ab und ging ins Schiff zurück.
* * *
Bevor sie erneut mit Volker Wilken sprachen, hatten sie Tieden darüber unterrichtet, dass der dringende Verdacht bestand, Wilken könnte in die Todesfälle involviert sein. So zumindest hatte Christine es ausgedrückt und sich währenddessen über Odas genervtes Gesicht geärgert. Sie hatte nun mal ihr eigenes Sprachvokabular, und wenn Oda das übertrieben fand, war es deren Sache. Ohnehin ging es hier nicht um Vokabeln, sondern darum, dem Sachverhalt näher zu kommen. Christine spürte nahezu mit jeder Faser ihres Körpers, dass sie sehr nah dran waren, das Geheimnis zu lüften, das die Todesfälle von Fabian Baumann und Malte Kleen umgab. Wieder wurden sie von einem Soldaten durch das Schiff geführt, und wieder bildete sie das Schlusslicht.
Eine Gruppe Marinesoldaten kam ihnen im engen Niedergang vor der Offiziersmesse entgegen, Christine konnte nicht verhindern, dass sie mit einer der Soldatinnen zusammenstieß.
»Entschuldigung.« Sie sah auf und blickte in ein Gesicht, das ihr bekannt vorkam, als im gleichen Moment ihr Handy klingelte. Am liebsten hätte sie den Anruf ignoriert, doch ein Blick aufs Display zeigte, dass es Nieksteit war. Der meldete sich nicht nur, um sich zu erkundigen, wie es ihr ging. Schnell nahm sie das Telefonat an. Wobei sie sich einen Moment wunderte, dass das hier an Bord überhaupt möglich war. Sie hätte auf ein massives Funkloch getippt.
»Ja?«, keuchte sie fast ein wenig abgehetzt in den Apparat.
»Hier geht es heute Schlag auf Schlag«, sagte Nieksteit ohne große Vorrede. »Ein neues Foto ist gekommen. Und rate mal, wen es zeigt.«
»Keine Ahnung. Schieß los!« Adrenalin schoss in Christines Adern.
»Man kann den Soldaten diesmal glasklar erkennen. Und nun schnall dich an. Es ist der Knabe, mit dem Baumann und
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