Wagner und Cordes 05 - Mord im Nebel
ja wohl ein ganz eigenes Kaliber«, meinte Oda, als Christine und sie nach dem Besuch im Stützpunkt wieder in der Polizeiinspektion waren. »Ich find’s echt ekelhaft.«
Als Lutz Baumann nämlich gemerkt hatte, dass er sich immer tiefer in seinem Lügengebilde verstrickte, war er mit der Wahrheit herausgerückt, die so abstrus und, ja, auch so widerwärtig war, dass sie glaubhaft schien. Peinlich berührt hatte er angegeben, schon öfter mit dem Rad zum Elternhaus von Nora Brandis gefahren zu sein. Ihr Zimmer befände sich im oberen Stockwerk, nach hinten hinaus. Dort, wo keine Straße, sondern nur ein verwilderter Garten war, den eine schmale Gracht vom Nachbargrundstück trennte. Er habe oft schon dort gestanden und Nora beobachtet. Zwei Fenster ihres Zimmers gingen bis zum Boden, nie zog sie die Jalousie herunter, fühlte sich im Schutz des verwilderten Grundstücks anscheinend sicher. Wie ein Spanner habe er in der Dunkelheit gestanden und sich ergötzt an Noras Anblick, wenn sie sich auszog und sich nur im BH und Stringtanga an ihren Schreibtisch setzte oder durch den Raum lief.
Wenn Fabian in der Stadt war, hatte er diesen Posten angeblich nie bezogen. Baumann hatte angegeben, er habe sich nicht damit quälen wollen, die beiden zu beobachten. In diesen Situationen habe er zu Viagra gegriffen und mit seiner Frau geschlafen. An jenem Abend, noch aufgewühlt durch den Streit mit seinem Sohn, der, wie Baumann wusste, mit zwei Kameraden essen war, habe er Noras Nähe gebraucht, deshalb sei er so spät noch losgefahren. Doch auf dem Grundstück der Brandis’ sei es matschig gewesen. Er war ausgerutscht und in der Gracht gelandet, die Gott sei Dank nur wenig Wasser führte.
»Ja«, stimmte Christine zu. »Das mag man sich nicht vorstellen. Was geht nur in den Menschen vor?« Sie saßen allein in Odas Büro, Christine hatte ihren in Leder gebundenen Schreibblock vor sich liegen, aber es schien, als wollte sie ihn nicht wirklich aufschlagen, um nachzulesen, was Baumann zu Protokoll gegeben hatte. »Mal angenommen, Baumann sagt die Wahrheit. Dann kann er nicht der Täter sein.«
»Stimmt. Und Nora Brandis fällt ebenfalls weg, denn er hat sie ja beobachtet. Dabei hätte auch sie ein Motiv, wenn sie die Trennung nicht akzeptieren, sondern Fabian wieder zurückhaben wollte. In so ’nem Fall kann ein Streit schnell eskalieren.«
»Aber Nora Brandis ist eine zarte Frau.«
»Och, hör auf. Die betreibt seit Jahren Kampfsport. Und falls Fabian Baumann die Ekelmacho-Gene seines Vaters besaß, könnte er Nora Brandis so provoziert haben, dass die zuschlug, ohne groß an die Folgen zu denken.«
»Wenn wir Lutz Baumann glauben, fallen also zwei Verdächtige weg: er selbst und Nora Brandis. Es sei denn …«
»Nein, Christine. Du brauchst diesen Gedanken nicht weiterzuverfolgen.«
»Woher willst du wissen, was ich denke?«
»Das sehe ich dir an der Nasenspitze an. Du überlegst, ob es sein kann, dass Baumann senior der Brandis durch sein Spanner-Geständnis ein Alibi gibt, um sie vollends für sich zu gewinnen.«
»Du kennst mich mittlerweile ganz gut«, gab Christine zu. »Stimmt. Genau das kam mir gerade in den Sinn.«
»Das kannst du schnell wieder vergessen. Immerhin waren Nora Brandis und Lutz Baumann kein Liebespaar und Fabian der Sohn des Alten. Da machste so was nicht. Also, du gibst der Freundin deines Sohnes kein Alibi. Ganz bestimmt nicht.«
»Dann fallen die beiden weg.«
»Jo.«
»Mich beschäftigt noch was ganz anderes. Das hat nichts mit Lutz Baumann und Nora Brandis zu tun. Es kam mir letzte Nacht in den Sinn.«
Oda sah sie fragend an. »Ja?«
»Es geht um die Fotos. Wer da drauf ist, muss Zugang zum Schiff und zur Gruppe um Fabian Baumann gehabt haben, ebenso derjenige, der sie gemacht hat. Denn die Fotos zeigen zwar denselben Raum und dieselbe Perspektive, aber unterschiedliche Personen.«
»Ja, und?«
»Es geht um die dritte Person, Oda.«
»Die dritte.«
»Genau.«
»Du meinst, weil Malte Kleen und Fabian Baumann miteinander Sex hatten und ein Dritter sie dabei fotografierte.«
»Nein, ich meine, dass erst Baumann Sex gehabt hat, dann Kleen, und der jeweils andere hat fotografiert. Und die dritte Person ist die auf dem Tisch.«
»Nämlich?«
»Eigentlich ist es ganz logisch. Und wenn wir von Anfang an die Scheuklappen weggelassen hätten, wären wir schon viel früher darauf gekommen.«
»Worauf?«
»Volker Wilken ist die zentrale Figur. Er war an dem Abend, an dem Fabian Baumann
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