Wahlkampf: Ein Mira-Valensky-Krimi
Plakaten lagen im Foyer des Hauptquartiers, selbst im Gang zu den holzgetäfelten Räumen. Mitarbeiter liefen kreuz und quer, rollten Plakate, druckten Listen aus. Allem Anschein nach war etwas schiefgelaufen. Und ich gebe zu, das gefiel mir. Ohne von jemandem begrüßt zu werden, blieb ich im Eingangsbereich stehen. »Diesem Mann können Sie vertrauen«, stand auf den Plakaten. »Mörder«, hatte Vogls Tochter geschrien.
Chloe Fischer ruderte mit beiden Armen durch die Luft und bat um Ruhe. »Also noch einmal«, sagte sie mit lauter Stimme. »Wir werden das Beste daraus machen. Wir werden daraus einen Vorteil ziehen. Die kleineren Plakatchargen werden von hier aus ausgeliefert. Prioritär. Alles andere kann warten. Wir werden schneller sein als die Druckerei. Und wir werden die Schuldigen finden, die dieses Chaos angerichtet haben. Hat jeder seine Liste?«
Murmeln, Nicken. »Jeder, der Probleme hat, wendet sich an Nolte.« Nolte musste der junge Mann sein, der neben Fischer stand und übers ganze Gesicht strahlte. »Wir müssen das Chaos als Chance begreifen«, rief er. Vielleicht war er Philosophiestudent. Vielleicht hatte er auch bloß Parteierfahrung. Alle begannen wieder durcheinanderzulaufen, Plakate zu rollen, Listen auszudrucken.
Eine der Empfangsfrauen hatte mich inzwischen entdeckt. »Die Druckerei hat die Plakate hierher geliefert, statt sie an die vorgegebenen Adressen zu versenden«, erklärte sie mir. »Aber wir werden auch damit fertig.«
»Wie konnte das passieren?«, fragte ich.
»Angeblich war es Bellini-Klein, der das angeordnet hat. Zumindest geht das Gerücht um.«
Armer Bellini-Klein, schuld an allem. Aber jetzt war er schon mehr als eine Woche tot, irgendwann würde sich auch das legen. Die Empfangsfrau verschwand, als sie Chloe Fischer auf mich zukommen sah. »Ein ungünstiger Zeitpunkt«, sagte Fischer mit ihrem professionellen Lächeln. »Pannen verlangen nach Krisenmanagement.«
»Ich setze mich ganz still in eine Ecke und sehe zu«, sagte ich und lächelte zurück. »Mein Fotograf muss gleich kommen.« Chloe Fischer runzelte nachdenklich die Stirn. Viele junge, hart arbeitende Menschen im Bild. Action. Das schien ihr zu gefallen. Sie nickte und drehte geschäftig in Richtung des teppichgedämpften Ganges ab.
Ich ließ mich in der Medienecke in einen Polstersessel fallen. Ein junger Wichtigtuer eilte herbei und erklärte mir, was hier ablief. »Teamarbeit, flexible Teamarbeit. Wir packen überall an.« Er würde es noch weit bringen. Die T-Shirts der meisten Frauen und Männer waren bereits durchgeschwitzt, seines nicht.
Aus den Stabsräumen kam ein dicker Mann mit einem zu gut sitzenden Seidenanzug.
»Wer ist das?«, fragte ich.
»Den kennen Sie nicht? Das ist Schmidt, der Medienguru aus Hamburg. Der, der schon alle gecoacht hat. Alle.«
»Vogl ist aber nicht da.«
»Er wird Vorbereitungen getroffen haben: Analysen erstellt und Strategien aufbereitet haben. Mediencoaching ist ein breites Feld. Ich selbst werde …«
Schmidt schien aufgeregt zu sein. Aber vielleicht erweckte auch nur das viele Fett in Bewegung diesen Eindruck. Er steuerte direkt auf mich zu. Der strebsame junge Mann tat so, als kenne er ihn ausgesprochen gut. »Wer sind Sie?«, bellte Schmidt. Der junge Mann verschwand. Er würde an seiner Technik noch etwas feilen müssen. »Sie sind die Journalistin von neulich«, sagte er zu mir, und es klang eher wie eine Anklage. »Ich will mit Ihnen reden, aber nicht hier.«
Ich mochte ihn nicht. Aufgeblasener Typ, Guru hin oder her.
Er bemerkte mein Zögern. »Es geht um eine Story. Eine gute Story. Aber nicht hier. Sie sind ja sonst auch nicht zimperlich. Sie haben doch die Bellini-Klein-Sache geschrieben, oder?« Seine Augen traten etwas aus den Höhlen. Er konnte jeden Moment einen Herzanfall bekommen.
»Ich lasse mich nicht instrumentalisieren.«
»Darum geht es nicht. Ich muss jetzt los. Eine gute Story, heute, Sacher, 20 Uhr.« Der Mann war es gewohnt, dass seine Anweisungen widerspruchslos befolgt wurden.
»Worum geht es?«, fragte ich.
»Das werden Sie dann erfahren.« Er hatte sich bereits zum Gehen gewandt.
»Geht es um Bellini-Klein?«
»Was? Unsinn. Es geht um eine Story, um eine gute Story.«
»Morgen«, sagte ich, »morgen um 20 Uhr, von mir aus im Sacher.«
»Heute geht es nicht?« Da war ein neuer Tonfall, den ich weder zuordnen konnte noch mochte.
»Nein, heute geht es nicht.«
Schmidt verließ das Hauptquartier. Unter dem Arm trug er eine
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