Wahlkampf: Ein Mira-Valensky-Krimi
es sehen«, gab Terezija Weiß zu bedenken und meinte damit keine göttliche Instanz, sondern Herrn Madermichl, »der sieht alles.«
Na und? Sollte er darüber reden, wenn es jemanden gab, mit dem er reden konnte. Außerdem konnte ich Madermichl auf diese Weise noch einmal nach der unbekannten Frau fragen.
Wir fuhren mit dem Lift nach oben und öffneten möglichst leise und rasch die Wohnungstüre. Ich sah mich um. Helle Möbel, nichts Kostspieliges, Selbstbauregale, Schafwollteppiche, ein hübscher Holzofen mit blitzblauer Verkleidung. Eine freundliche Zweizimmerwohnung mit schönem Ausblick über einen Großteil von Wien. Ich durchstöberte seinen Schreibtisch. Entweder hatte die Polizei seine Unterlagen beschlagnahmt, oder Bellini-Klein hatte nie Arbeit mit nach Hause genommen. Außer einigen Werbebroschüren aus dem Wahlkampf, einem Ordner mit Rechnungen und der Präsentationsmappe einer Beratungsfirma – offenbar der Firma, bei der er gearbeitet hatte – fand sich nichts. Eher planlos durchforsteten wir den Schrank und die Regale. Bellini-Klein schien viel gelesen zu haben. Fast alle Wände waren voller Bücherregale. Das Spektrum reichte von den großen Philosophen bis zur deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts. »Die Bücher hat er von seinem Onkel geerbt«, wusste Terezija Weiß. »Hat er erzählt. Er hat gefragt, ob sie jemand kaufen will. Ich weiß so was nicht. Er hat nie Geld gehabt. Aber man hat bei ihm gewartet.«
In der untersten Lade fand ich einen Fotorahmen ohne Foto. Terezija meinte, sie habe den Rahmen noch nie gesehen.
»Der Computer«, sagte Vesna. Ich genierte mich. Ich war wohl wirklich noch nicht ganz auf der Höhe. Da durchsuchte ich mit den beiden die Wohnung und vergaß auf das Wichtigste. Bellini-Klein hatte Zugang zu allen Dateien gehabt. Er hätte sie in seinem Computer speichern können. Fehlanzeige: Ich fand nur ein paar völlig belanglose Dateien. Als hätte jemand alles Wichtige gelöscht. Ein Dokument barg seinen Lebenslauf. Sieh an, auch da hatte er geschickt hochgestapelt. Ich öffnete ein Adressenverzeichnis von Prominenten, in dem ich viele aus dem Komitee von Vogl entdeckte. Sicher nicht ganz legal. Zwei Briefe an die Nachlassverwaltung seines Onkels waren ebenfalls abgespeichert. Offenbar hatte Bellini-Klein noch etwas Geld zu erwarten gehabt. Lag vielleicht hier das eigentliche Mordmotiv? Geld war immer ein Motiv, ich hatte genug Krimis gelesen. Sehr glaubwürdig. Ich schrieb mir die Adresse des Nachlassverwalters auf. Wenn das stimmte, was hier stand, war Geld allerdings als Motiv auszuschließen. Wegen 60.000 Schilling beging doch niemand einen so komplizierten Mord. Aber sein Onkel war Parlamentspräsident gewesen. Vielleicht war mehr da als nur Geld.
Und wieder half mir Vesna. Als ich den Computer abdrehte und langsam – die Blutergüsse würde ich noch lange spüren – aufstand, drückte Vesna auf die Auswurftaste des Diskettenlaufwerks. Eine Diskette ohne Beschriftung sprang heraus, und Vesna drückte sie mir wortlos in die Hand. Ich steckte sie, ebenfalls ohne etwas zu sagen, ein.
Am Gang begegnete uns Madermichl, der ganz zufällig den Abfall hinuntertragen wollte. »Ich weiß nicht, ob es gestattet ist, die Wohnung zu betreten.«
»Sie wird wieder vermietet«, sagte Terezija Weiß und versuchte, wie eine Respektsperson zu sprechen. Das gelang ihr ganz gut.
»Vielleicht miete ich sie«, meinte ich und lächelte falsch. »Mir gefällt die Hausgemeinschaft, und die Anlage der Wohnung ist auch sehr in Ordnung. Ich wollte immer schon in Penzing wohnen, und nette Nachbarn sind mir wichtig. Ich bin da ganz altmodisch.«
»Aha«, sagte Madermichl, und das klang eher erfreut als skeptisch, aber was wusste man schon. »Was ist denn Ihnen passiert?«, fragte er, als ich ihm freundlich die Hand hinhielt.
»Handtaschenräuber.«
»Lauter Gesindel, was jetzt da ist«, empörte sich Madermichl und wollte mitsamt dem Müll wieder in seine Wohnung verschwinden.
»Stopp«, rief ich. Madermichl blieb stehen. »Nur eine kleine Frage zur Frau, die Bellini-Klein besucht hat. Hat sich die Polizei um die Frau gar nicht gekümmert?« Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Madermichl der Polizei etwas verschwiegen hatte. Madermichl nickte eifrig. »Doch, natürlich. Sie haben mir ein Bild gezeigt, und ich habe sie erkannt. Sie haben sie offenbar in ihrer Kartei gehabt.«
»Sie haben Verbrecherfotos durchgesehen?«
»Nein, sie haben mir ein Foto von einer Frau
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