Wahn - Duma Key
dem oberen Treppenabsatz«, sagte sie, als hätte ich etwas ganz anderes gefragt, und schloss wieder die Augen. »Rufen Sie mich, wenn der Zug kommt. Ich habe diesen Bahnhof so satt. Und nehmen Sie sich vor dem Big Boy in Acht, dieser Schwanzlutscher könnte überall sein.«
»Wird gemacht«, sagte ich. Mein rechter Arm juckte entsetzlich. Ich griff in meine Hüfttasche, in der hoffentlich mein Notizbuch steckte. Es war nicht da. Ich hatte es im Big Pink auf dem Küchentisch liegen gelassen. Aber das ließ mich an die Küche im Palacio denken. Auf der Theke, auf der jetzt die Blechdose stand, hatte ein Notizblock gelegen. Ich hastete hinaus, griff mir den Block, klemmte ihn mir zwischen die Zähne und rannte fast in den Porzellansalon zurück, während ich bereits meinen Uni-Kugelschreiber aus der Hemdtasche zog. Ich ließ mich wieder in den Ohrensessel fallen und machte mich rasch daran, die Porzellanfigur zu zeichnen, während Regen an die Scheiben prasselte und Elizabeth mir gegenüber sich in ihrem Rollstuhl zurückgelehnt hatte und mit offenem Mund döste. Die Schatten der vom Wind gepeitschten Palmen huschten wie Fledermäuse über die Wände.
Ich brauchte nicht lange, und während ich arbeitete, machte ich eine Entdeckung: Beim Malen ließ ich das Jucken durch meinen fliegenden Kugelschreiber abfließen, goss es über das Papier aus. Die Frau auf meiner Zeichnung war die Porzellanfigur, aber sie war auch Pam. Die Frau war Pam, aber sie war auch die Porzellanfigur. Ihr Haar war länger als bei unserer letzten Begegnung und fiel ihr bis über die Schultern. Sie saß auf
(dem DUNG, dem STUNK)
einem Stuhl. Auf was für einem? In einem Schaukelstuhl. Ein solches Möbelstück hatte es in unserem Haus bis zu meinem Auszug nicht gegeben, aber jetzt gab es eines. Auf dem Tisch neben Pam stand etwas. Ich wusste anfangs nicht, was es war, aber es floss aus der Spitze meines Kugelschreibers und wurde zu einem Blechkasten mit bedrucktem Deckel. Sweet Owen? Stand auf dem Deckel Sweet Owen? Nein, GRANDMA’S. Mein Uni-Kugelschreiber zeichnete etwas, das neben dem Kästchen auf dem Tisch lag: eines der Hafermehlplätzchen, die Pam so gern aß. Während ich es betrachtete, zeichnete der Kugelschreiber das Buch in Pams Hand. Den Titel konnte ich nicht lesen, weil der Winkel ungünstig war. Inzwischen ergänzte ich die Zeichnung durch Linien zwischen dem Fenster und ihren Füßen. Sie hatte gesagt, bei ihr schneie es, aber jetzt fiel kein Schnee mehr. Die Linien sollten Sonnenstrahlen sein.
Ich dachte, die Zeichnung wäre fertig, aber offenbar fehlten noch zwei Dinge. Mein Kugelschreiber setzte am linken äußeren Bildrand ein und fügte blitzschnell den Fernseher hinzu. Neues Gerät, Flachbildschirm. Und darunter …
Der Kugelschreiber zeichnete fertig und fiel mir dann aus der Hand. Das Jucken war verschwunden. Meine Finger waren steif. Auf der anderen Seite des langen Tisches war Elizabeth’ Dösen in richtigen Schlaf übergegangen. Früher einmal war sie vielleicht jung und schön gewesen. Früher einmal mochte sie die Traumfrau irgendeines jungen Mannes gewesen sein. Jetzt schnarchte sie mit zur Decke zeigendem und weitgehend zahnlosem Mund. Falls es einen Gott gibt, muss er sich ein bisschen mehr anstrengen, finde ich.
VIII Ich hatte nicht nur in der Küche, sondern auch in der Bibliothek ein Telefon gesehen, und die Bibliothekstür war dem Porzellansalon näher. Weil ich mir sicher war, dass weder Wireman noch Elizabeth etwas dagegen haben würden, dass ich von hier aus ein Ferngespräch nach Minnesota führte, nahm ich den Hörer ab und machte dann eine Pause, während ich ihn an die Brust gedrückt hielt. An der Wand neben der Ritterrüstung waren antike Waffen ausgestellt, die durch in die Decke eingelassene winzige Spots raffiniert beleuchtet wurden: ein langläufiger Vorderlader, der aus dem Unabhängigkeitskrieg zu stammen schien, eine Steinschlosspistole, ein Derringer wie aus dem Stiefel eines Berufsspielers auf einem Mississippidampfer und ein Winchester-Karabiner. Über dem Karabiner hing die Waffe, die Elizabeth an dem Tag, an dem Ilse und ich sie gesehen hatten, auf den Knien gehabt hatte. Auf beiden Seiten waren umgekehrt v-förmig je zwei ihrer Geschosse angebracht. Pfeile konnte man sie nicht nennen - dafür waren sie zu kurz. Harpünchen schien weiterhin das richtige Wort zu sein. Ihre auf Hochglanz polierten Spitzen waren offenbar sehr scharf.
Ich dachte: Mit einem Ding
Weitere Kostenlose Bücher