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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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warf einen ins Wasser (»Man mag kaum glauben, dass sie das hört, aber ihr Gehör ist sehr scharf«, hatte Wireman gesagt), wobei ich darauf achtete, dass ihn keiner der Goldfische auf die Birne bekam. Dann nahm ich die Dose mitsamt der darin steckenden Figur wieder mit ins Haus. Aber nicht in den Porzellansalon. Ich ging in die Küche, nahm den Deckel von der Keksdose und zog die eingewickelte Figur heraus. Das gehörte nicht zu Wiremans Notfallanweisungen, aber ich war neugierig.
    Die Porzellanfigur war eine Frau, der jedoch jemand das Gesicht abgeraspelt hatte. An dessen Stelle befand sich nur eine unebene leere Fläche.
    »Wer ist da?«, rief Elizabeth so laut, dass ich zusammenzuckte. Beinahe hätte ich das unheimliche kleine Ding zu Boden fallen lassen, wo es bestimmt auf den Fliesen zersplittert wäre.
    »Nur ich, Elizabeth«, antwortete ich und legte die Figur auf die Küchentheke.
    »Edmund? Oder Edgar... oder wie Sie sonst heißen?«
    »Richtig.« Ich ging zurück in den Salon.
    »Haben Sie sich um meine Sache gekümmert?«
    »Ja, Ma’am, das habe ich.«
    »Habe ich meinen Imbiss schon?«
    »Ja.«
    »Na gut.« Sie seufzte.
    »Möchten Sie noch etwas? Ich kann Ihnen bestimmt...«
    »Nein, danke, mein Lieber. Ich bin mir sicher, dass der Zug bald kommt, und Sie wissen doch, dass ich nicht gern mit vollem Magen reise. Ich bekomme immer einen Platz entgegen der Fahrtrichtung, und wenn ich vorher gegessen habe, werde ich bestimmt reisekrank. Haben Sie meine Blechdose, meine Dose von Sweet Owen gesehen?«
    »Die ist in der Küche, glaube ich. Soll ich sie Ihnen holen?«
    »Nicht an einem so nassen Tag«, sagte sie. »Ich dachte, ich würde sie von Ihnen in den Teich werfen lassen, der Teich würde genügen, aber ich hab’s mir anders überlegt. An einem so nassen Tag scheint mir das überflüssig zu sein. Die Beschaffenheit der Gnade leidet nicht, wissen Sie. Sie fällt wie sanfter Regen.«
    »Vom Himmel«, sagte sie.
    »Ja, ja.« Sie winkte ab, als wäre dieser Teil nicht wichtig.
    »Wieso stellen Sie Ihre Figuren nicht auf, Elizabeth? Sie stehen heute ganz durcheinander.«
    Sie warf einen Blick auf ihren Spieltisch, dann sah sie zum Fenster hinüber, an das ein besonders starker Windstoß Regen klatschen ließ. »Mist«, sagte sie. »Ich bin so beschissen konfus.« Und dann mit einer Gehässigkeit, die ich ihr nicht zugetraut hätte: »Sie sind alle gestorben, und haben dies mir überlassen.«
    Ich wäre der Letzte gewesen, den ihr Rückfall in Vulgarität abgestoßen hätte; ich verstand ihn nur allzu gut. Vielleicht litt die Beschaffenheit der Gnade tatsächlich nicht; Millionen von uns leben und sterben mit dieser Vorstellung, aber … uns alle erwartet Ähnliches. Ja.
    Sie sagte: »Er hätte dieses Ding nie haben sollen, aber das wusste er nicht.«
    »Welches Ding?«
    »Welches Ding«, bestätigte sie und nickte. »Ich will den Zug. Ich will weg von hier, bevor der Big Boy kommt.«
    Danach verfielen wir beide in Schweigen. Elizabeth schloss die Augen und schien in ihrem Rollstuhl einzudösen.
    Um irgendwas zu tun, stand ich aus dem Sessel auf, der in jeden Herrenclub gepasst hätte, und trat an den Tisch. Ich griff nach einem Paar, einem Mädchen und einem Jungen aus Porzellan, betrachtete es, stellte es wieder hin. Ich kratzte mir geistesabwesend den Arm, der nicht da war, studierte das sinnlose Durcheinander vor mir. Auf dem langen polierten Eichentisch mussten mindestens hundert Figuren stehen. Vielleicht zweihundert. Unter ihnen war eine Porzellanfrau mit einer altmodischen Haube - einer Milchmädchenhaube, dachte ich -, aber die wollte ich auch nicht. Die Haube stimmte irgendwie nicht, außerdem war sie zu jung. Ich fand eine andere Frau mit langen angemalten Haaren, die besser war. Ihre Haare waren etwas zu lang, etwas zu dunkel, aber...
    Nein, das waren sie nicht, denn Pam war im Schönheitssalon gewesen - auch bekannt unter dem Namen Midlife-Crisis-Jungbrunnen.
    Ich hielt die Porzellanfigur in der Hand und wünschte mir, ich hätte ein Haus, in das ich sie setzen, und ein Buch, das sie lesen könnte.
    Ich versuchte, die kleine Figur in die rechte Hand zu nehmen - das war ganz natürlich, denn meine rechte Hand war da, ich konnte sie spüren -, und sie fiel scheppernd auf den Tisch. Sie zerbrach nicht, aber Elizabeth öffnete die Augen. »Dick! War das der Zug? Hat er gepfiffen? Hat er geplärrt?«
    »Noch nicht«, sagte ich. »Wollen Sie nicht ein Schläfchen machen?«
    »Oh, Sie finden es auf

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