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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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eloquent ausdrücken, das gibt er freimütig zu. Das Geschoss hat eine nach unten gerichtete Bugwelle erzeugt, die ein Ödem verursacht und Druck auf den optischen Chiasmus ausgeübt hat. Das ist die visuelle Schaltzentrale des Gehirns. Erkennst du die ganze Pracht all dessen? Ich schieße mich in die Schläfe und bleibe nicht nur am Leben, sondern behalte auch noch die Kugel, die mir hier hinten Probleme verursacht.« Er tippte sich auf den Knochensteg über dem rechten Ohr. »Und die Probleme werden schlimmer, weil die Kugel wandert. Sie liegt jetzt mindestens einen Zentimeter tiefer als vor zwei Jahren. Wahrscheinlich mehr. Das musste ich mir nicht von Hadlock oder Principe erzählen lassen müssen, das sehe ich selbst auf diesen Bildern.«
    »Dann lass dich operieren, Wireman, lass sie die Kugel rausholen. Jack und ich kümmern uns um Elizabeth, bis du wieder...« Er schüttelte den Kopf. »Nein? Wieso nicht?«
    »Sie steckt zu tief drin, als dass sie herausoperiert werden könnte, amigo . Deshalb wollte ich auf keinen Fall stationär aufgenommen werden. Glaubst du etwa, ich hätte einen Marlboro-Mann-Komplex? Durchaus nicht. Die Zeiten, in denen ich mir gewünscht habe, tot zu sein, liegen hinter mir. Ich trauere weiter um meine Frau und meine Tochter, aber jetzt muss ich Miss Eastlake versorgen, und ich habe Duma Key lieben gelernt. Und auch du bist mir wichtig, Edgar. Ich möchte wissen, wie deine Geschichte ausgeht. Bedaure ich, was ich getan habe? Manchmal sí , manchmal no . Ist es sí , erinnere ich mich daran, dass ich damals nicht der Mann war, der ich heute bin, und dass ich dem damaligen Mann einiges nachsehen muss. Dieser Mann war so verletzt und durcheinander, dass er eigentlich nicht zurechnungsfähig war. Das war mein anderes Leben, und ich versuche, meine damaligen Probleme als... nun... als Geburtsfehler zu sehen.«
    »Wireman, das ist bizarr.«
    »Wirklich? Denk an deine eigene Situation.«
    Ich dachte an meine eigene Situation. Ich war ein Mann, der seine Frau zu erwürgen versucht hatte, aber nichts mehr davon wusste. Ein Mann, der mit einer Puppe in der anderen Hälfte seines Betts schlief. Ich beschloss, meine Ansichten für mich zu behalten.
    »Dr. Principe will mich nur stationär aufnehmen, weil ich ein interessanter Fall bin.«
    »Das weißt du nicht.«
    »Und ob ich das weiß!« Wireman sprach mit unterdrückter Leidenschaft. »Seit meinem Selbstmordversuch bin ich mindestens vier Principes begegnet. Sie sind einander erschreckend ähnlich: brillant, aber distanziert, völlig außerstande, Mitgefühl zu empfinden, eigentlich den Soziopathen, über die John D. MacDonald geschrieben hat, recht ähnlich. Principe kann mich so wenig operieren wie einen Patienten, der an dieser Stelle einen bösartigen Tumor hätte. Einen Tumor könnten sie wenigstens bestrahlen, aber ein Klumpen Blei reagiert nicht auf Strahlen. Das weiß Principe, aber er ist fasziniert. Und er denkt sich nichts dabei, in mir ein paar falsche Hoffnungen zu erwecken, wenn er mich nur in ein Krankenbett bekommt und mich fragen kann, ob es wehtut, wenn er hier drückt. Und später, wenn ich tot bin, kann er vielleicht in einer Fachzeitschrift über mich schreiben. Er kann nach Cancun fliegen und am Strand eisgekühlte Weinschorle trinken.«
    »Das klingt sehr hart.«
    »Nicht im Vergleich zu Principes Blick - der ist hart. Den brauche ich nur zu sehen, dann renne ich weg, so weit ich kann. Was ich eigentlich auch diesmal getan habe.«
    Ich schüttelte den Kopf und sprach nicht weiter davon. »Wie sieht also die Prognose aus?«
    »Wollen wir nicht lieber weiterfahren? Hier wird’s mir langsam unheimlich. Mir ist gerade klar geworden, dass dies die Stelle ist, wo dieser Freak das kleine Mädchen überfallen hat.«
    »Das hätte ich dir schon sagen können, als wir auf den Parkplatz gefahren sind.«
    »Vielleicht war’s besser, dass du’s für dich behalten hast.« Er gähnte. »Gott, bin ich müde.«
    »Das ist der Stress.« Ich sah nach links und rechts, dann fuhr ich wieder auf den Tamiami Trail hinaus. Ich konnte noch immer kaum glauben, dass ich selbst fuhr, aber langsam gefiel es mir.
    »Die Prognose ist nicht gerade rosig. Ich nehme schon jetzt mehr Doxepin und Zonegran, als ein Pferd vertragen würde - das sind Mittel gegen Krämpfe, die bisher ganz gut gewirkt haben, aber ich weiß, dass ich an dem Abend, an dem wir im Zoria’s gegessen haben, in Schwierigkeiten war. Ich habe versucht, das zu leugnen, aber du weißt

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