Wahn - Duma Key
wieder Elizabeth zu. Sie betrachtete noch immer Aus Muscheln wachsen Rosen und wischte sich dabei die Augen.
»Ich liebe dieses Bild«, sagte sie, »aber wir müssen weiter, glaube ich.«
Nachdem sie die restlichen Gemälde und Zeichnungen im Büfettraum gesehen hatte, sagte sie wie zu sich selbst: »Ich wusste natürlich, dass jemand kommen würde. Aber ich hätte nie geglaubt, dass es jemand sein würde, der so kraftvolle und zugleich anrührende Werke schaffen kann.«
Jack tippte mir auf die Schulter, dann beugte er sich nach vorn und murmelte mir ins Ohr: »Dr. Hadlock ist gerade reingekommen. Wireman möchte, dass du’s so kurz wie möglich machst.«
Der Hauptraum der Galerie - mit dem Zyklus Mädchen mit Schiff - lag auf unserem Weg ins Büro, und Elizabeth konnte das Gebäude durch den Hinterausgang verlassen, sobald sie ihren Drink genossen hatte; dieser Ausgang war für den Rollstuhl sogar bequemer. Hadlock konnte sie begleiten, wenn er das wollte. Aber ich fürchtete mich davor, sie an dem Zyklus Mädchen mit Schiff vorbeizuschieben, obwohl mir ihre Meinung als Kunstkritikerin keine Sorgen mehr machte.
»Kommen Sie«, sagte sie und ließ ihren Amethystring auf der Lehne ihres Rollstuhls klicken. »Wir wollen sie uns ansehen. Kein Zögern mehr!«
»Also gut«, sagte ich und begann, sie in Richtung Hauptraum zu schieben.
»Alles in Ordnung mit dir, Eddie?«, fragte Pam mich leise.
»Klar«, sagte ich.
»Das stimmt nicht. Was ist los?«
Ich schüttelte nur den Kopf. Wir waren jetzt im Hauptraum angelangt. Meine Bilder hingen in ungefähr zwei Metern Höhe; darüber hinaus war der Raum offen. DieWände, bespannt mit grobem braunem Stoff, der nach Jute aussah, waren kahl bis auf Wireman blickt nach Westen . Ich schob Elizabeth’ Rollstuhl langsam weiter. Seine Räder rollten geräuschlos über den blassblauen Teppichboden. Das Murmeln des Publikums hinter uns war verstummt - oder mein Gehör blendete es aus. Ich glaubte, die Gemälde zum ersten Mal zu sehen, und sie kamen mir auf eigentümliche Weise wie Standfotos aus einem Kinofilm vor. Jedes folgende Bild war etwas klarer, etwas fokussierter, aber eigentlich doch wieder gleich, weil das Motiv stets das Gleiche war: das Schiff, das ich erstmals im Traum gesehen hatte. Es war stets Sonnenuntergang, und das den Westen ausfüllende Licht war stets ein titanischer Amboss, der Blut übers Wasser verbreitete und den Himmel infizierte. Das Schiff war ein dreimastiger Leichnam, der aus einem Pesthaus der Toten angetrieben war. Seine Segel hingen in Fetzen herab. Seine Decks waren verlassen. In jeder winkligen Linie lag etwas Grausiges, und obwohl es sich nicht genau bestimmen ließ, fürchtete man um das allein in seinem Ruderboot sitzende kleine Mädchen - das kleine Mädchen, das auf dem ersten Bild ein Tic-Tac-Toe-Kleid trug, das kleine Mädchen, dessen Boot auf dem tiefroten Meer schwamm.
In dieser ersten Fassung lag das Totenschiff so schräg zum Betrachter, dass von seinem Namen nichts zu erkennen war. Auf Mädchen mit Schiff Nr. 2 war der Winkel etwas günstiger, aber das kleine Mädchen (weiter mit den falschen roten Haaren und jetzt auch in Rebas gepunktetem Kleid) verdeckte alles bis auf den Buchstaben P . Auf der Nr. 3 war daraus PER geworden, und Reba hatte sich selbst von hinten ziemlich eindeutig in Ilse verwandelt. In dem Ruderboot lag John Eastlakes Harpunenpistole.
Falls Elizabeth sie erkannte, ließ sie sich nichts anmerken. Ich schob sie langsam die Reihe entlang, während das Schiff größer und näher aufragte, seine schwarzen Masten wie Finger ausgriffen und die Segel wie totes Fleisch herabsackten. Der in Flammen stehende Himmel leuchtete durch die Löcher in der Segelleinwand. Der Name am Heck lautete jetzt PERSE. Vielleicht ging er noch weiter - der Platz hätte für mehrere Buchstaben gereicht -, aber der Rest verschwand in dunklen Schatten. Auf Mädchen mit Schiff Nr. 6 (auf dem der Schiffsrumpf hoch über dem Ruderboot aufragte) trug das Mädchen etwas, das ein blauer einteiliger Badeanzug mit gelber Einfassung zu sein schien. Diesmal spielte die Haarfarbe der Kleinen ins Orangerote; sie war das einzige Ruderbootmädchen, über dessen Identität ich mir nicht völlig im Klaren war. Vielleicht war sie Ilse, nachdem auch alle anderen … aber davon war ich nicht wirklich überzeugt. Auf diesem Bild waren die ersten Rosenblätter auf dem Wasser erschienen (sowie ein einzelner gelbgrüner Tennisball, auf dem die Buchstaben DUNL
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