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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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sichtbar waren), und an Deck befand sich eine eigenartige Ansammlung seltsamer Dinge: ein Standspiegel (der mit Blut gefüllt zu sein schien, weil er den Sonnenuntergang zurückwarf), ein Schaukelpferd, ein Überseekoffer, ein kleiner Berg Schuhe. Diese Gegenstände erschienen auch auf Nr. 7 und Nr. 8 , auf denen weitere Dinge hinzukamen: ein am Vormast lehnendes Kinderfahrrad, ein Reifenstapel auf dem Achterdeck, eine große Sanduhr mittschiffs. Auch sie spiegelte die Sonne wider und schien mit Blut statt Sand gefüllt zu sein. Auf Mädchen mit Schiff Nr. 8 schwammen noch mehr Rosenblätter zwischen dem Ruderboot und der Perse . Und auch mehr Tennisbälle, mindestens ein halbes Dutzend. Und um den Hals des Schaukelpferds war eine verrottende Blumengirlande gehängt. In der reglosen Luft konnte ich fast ihren fauligen Geruch riechen.
    »Großer Gott«, flüsterte Elizabeth. »Sie ist so stark geworden.« Zuvor war ihr Gesicht rosig gewesen, aber jetzt war alle Farbe daraus verschwunden. Sie sah nicht wie fünfundachtzig, sondern wie zweihundert aus.
    Wer?, versuchte ich zu fragen, aber ich brachte keinen Ton heraus.
    »Ma’am … Miss Eastlake … Sie dürfen sich nicht überanstrengen«, sagte Pam.
    Ich räusperte mich. »Soll ich Ihnen ein Glas Wasser bringen?«
    »Überlass das mir, Dad«, sagte Illy.
    Elizabeth starrte noch immer Mädchen mit Schiff Nr. 8 an. »Wie viele dieser … dieser Souvenirs … erkennen Sie?«, fragte sie mich.
    »Keines … reine Fantasie …« Ich verstummte. Das Ruderbootmädchen auf Nr. 8 war kein Erinnerungsstück, aber es war Ilse. Das grüne Kleid mit seinen auf dem bloßen Rücken gekreuzten Trägern hatte für ein kleines Mädchen unpassend sexy gewirkt, aber inzwischen wusste ich, weshalb: Es war ein Kleid, das Ilse vor Kurzem aus einem Versandhauskatalog bestellt hatte, und Ilse war kein kleines Mädchen mehr. Im Übrigen waren die Tennisbälle mir weiter rätselhaft, und der Spiegel bedeutete mir so wenig wie der Reifenstapel. Und ich wusste nicht bestimmt, dass das am Vormast lehnende Fahrrad einst Tina Garibaldi gehört hatte, aber ich befürchtete es … und mein Herz war sich dessen irgendwie sicher.
    Elizabeth’ Hand, grausig kalt, umfasste mein Handgelenk. »Am Rahmen dieses Bildes fehlt der Punkt.«
    »Ich weiß nicht, was Sie …«
    Ihr Griff wurde fester. »Doch, doch! Sie wissen genau, was ich meine. Die Ausstellung ist ausverkauft , Edgar, oder halten Sie mich für blind? Ein Punkt am Rahmen jedes Gemäldes, das wir gesehen haben - auch an der Nummer sechs , dem Bild mit meiner Schwester Adie im Ruderboot -, aber nicht an diesem!«
    Ich sah zur Nr. 6 hinüber, auf der das Ruderbootmädchen orangerote Haare hatte. »Das ist Ihre Schwester? «
    Sie achtete nicht auf mich. Vermutlich hatte sie mich gar nicht gehört. Ihre gesamte Aufmerksamkeit galt Mädchen mit Schiff Nr. 8 . »Was haben Sie damit vor? Es zurückzubringen? Wollen Sie’s nach Duma Key zurückbringen? « Ihre Stimme hallte durch die jetzt in der Galerie herrschende Stille.
    »Ma’am … Miss Eastlake... Sie sollten sich wirklich nicht so aufregen«, sagte Pam.
    Elizabeth’ Augen funkelten aus dem schlaff herabhängenden Fleisch ihres Gesichts. Ihre Fingernägel gruben sich in mein mageres Handgelenk. »Und was dann? Stellen Sie’s neben ein anderes, das Sie bereits angefangen haben?«
    »Ich habe kein anderes...« Oder hatte ich doch eines angefangen? Wie oft in stressreichen Augenblicken spielte mein Gedächtnis mir wieder Streiche. Hätte mich jemand in diesem Moment aufgefordert, den Namen des französischen Freundes meiner älteren Tochter auszusprechen, hätte ich wahrscheinlich René gesagt. Wie bei Magritte. Der Traum war tatsächlich umgekippt; hier war der Albtraum - geradezu nach Fahrplan.
    »Das eine, auf dem das Ruderboot leer ist?«
    Bevor ich etwas sagen konnte, arbeitete Gene Hadlock sich durch die Menge - von Wireman gefolgt, dem Ilse folgte, die ein Glas Wasser in der Hand hielt.
    »Elizabeth, wir sollten gehen«, sagte Hadlock.
    Er griff nach ihrem Arm. Elizabeth wischte seine Hand beiseite. Mit demselben Schwung traf sie das Glas, das Ilse ihr anbieten wollte; es flog an eine der kahlen Wände und zersplitterte. Irgendjemand schrie auf, und irgendeine Frau lachte unglaublicherweise.
    »Sehen Sie das Schaukelpferd, Edgar?« Sie zeigte darauf. Ihre Hand zitterte stark. Die Fingernägel waren korallenrot lackiert, vermutlich von Annmarie. »Es hat meinen Schwestern Laura und Tessie

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