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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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starrte ihn lange an. »Ich wollte, ich hätte ein Vergrößerungsglas.«
    »Damit würdest eher schlechter sehen als besser.«
    »Na gut, muchacho , er kommt mir vage bekannt vor … aber vielleicht hast du mir das auch nur eingeredet.«
    »Auf allen Bildern des Zyklus Mädchen mit Schiff gibt’s nur ein Ruderbootmädchen, dessen ich mir nicht ganz sicher war: das von Nummer sechs . Das mit den karottenroten Haaren, das in dem gelb eingefassten blauen Einteiler.« Ich tippte auf Adrianas verschwommene Gestalt auf der Fotokopie, die Mary Ire mir gegeben hatte. »Das hier ist das Mädchen. Das hier ist der Badeanzug. Da bin ich mir sicher. Und Elizabeth war sich da auch sicher.«
    »Wovon reden wir hier?«, fragte Wireman. Er überflog den Text und rieb sich dabei die Schläfen. Ich fragte ihn, ob sein Auge wieder wehtat.
    »Nein. Alles ist nur so … so beschissen...« Er sah mit großen Augen zu mir auf und rieb sich weiter die Schläfen. »Hier steht, dass sie aus einem gottverdammten Ponywägelchen gefallen ist und sich den Kopf an einem Felsblock angeschlagen hat. Ist beim Arzt im Sprechzimmer zu sich gekommen, als sie eben nach St. Pete ins Krankenhaus gebracht werden sollte. Seither immer wieder Anfälle. Hier steht: ›Leider hat Baby Elizabeth weiter Krämpfe, die aber schwächer werden und keine Dauerschäden zu hinterlassen scheinen.‹ Und sie hat angefangen zu malen!«
    Ich sagte: »Der Unfall muss kurz nach dem Tag passiert sein, an dem das große Gruppenporträt aufgenommen wurde. Sie sieht hier genau wie auf dem anderen Foto aus, und Kinder in diesem Alter verändern sich schnell.«
    Wireman schien nicht zugehört zu haben. »Wir sitzen alle im selben Ruderboot«, sagte er.
    Ich wollte fragen, wie er das meinte, doch dann wurde mir klar, dass das überflüssig war. »Sí, señor«, sagte ich.
    »Sie ist auf den Kopf gefallen. Ich habe mich in den Kopf geschossen. Dir hat ein Radlader den Kopf zerquetscht.«
    »Kran.«
    Er winkte ab, als wäre das nebensächlich. Dann umfasste er mein übrig gebliebenes Handgelenk. Seine Finger waren kalt. »Ich habe Fragen, muchacho . Wie kommt es, dass sie mit der Malerei aufgehört hat? Und wie kommt es, dass ich nie damit angefangen habe?«
    »Ich kann nicht bestimmt sagen, warum sie aufgehört hat. Vielleicht hat sie es vergessen - durch ihr Unterbewusstsein blockiert -, vielleicht hat sie aber auch vorsätzlich gelogen.Was dich betrifft, ist dein Talent Empathie. Und auf Duma Key ist aus Empathie die nächsthöhere Stufe Telepathie geworden.«
    »Das ist doch Schwachsi…« Er verstummte.
    Ich wartete.
    »Nein«, sagte er. »Nein, das ist keiner. Aber ich habe diese Fähigkeit wieder völlig verloren. Soll ich dir was erzählen, amigo? «
    »Klar.«
    Er wies mit dem Daumen auf die aufgeregt wirkende Familiengruppe in der anderen Ecke des Raums. Sie hatte ihre Diskussion wieder aufgenommen. Papa drohte Mama jetzt mit dem Zeigefinger. Oder vielleicht war es auch die Schwester. »Vor ein paar Monaten hätte ich dir noch sagen können, worüber sie sich die Köpfe heißreden. Jetzt könnte ich nur eine wohlbegründete Vermutung anstellen.«
    »Und wahrscheinlich mit ähnlichem Ergebnis«, sagte ich. »Würdest du das eine überhaupt gegen das andere eintauschen wollen? Dein Sehvermögen gegen einen gelegentlichen Geistesblitz?«
    »Gott, nein!«, sagte er, dann sah er sich mit schief gelegtem Kopf und einem ironischen, hoffnungslosen Lächeln in der Cafeteria um. »Ich kann einfach nicht glauben, dass wir diese Diskussion führen, weißt du. Ich denke immer, dass ich aufwachen und hören werde: ›Kommando zurück, Gefreiter Wireman, weitermachen!‹«
    Ich erwiderte seinen Blick. »Das wird leider nicht passieren.«
     
     
     
     
     
     
    X Wie das Weekly Echo berichtete, begann Baby Elizabeth (wie sie fast durchgehend genannt wurde) gleich am ersten Tag der häuslichen Genesung damit, sich künstlerisch zu betätigen. Sie machte rasche Fortschritte, »gewann, wie es ihrem Vater schien, stündlich an Kunstfertigkeit und Können dazu«. Sie begann mit Buntstiften (»Klingt bekannt, was?«, fragte Wireman), bevor sie sich auf die Wasserfarben stürzte, die John Eastlake ihr aus Venice mitbrachte.
    In den drei Monaten nach ihrem Unfall, die sie zum großen Teil im Bett verbrachte, malte sie buchstäblich Hunderte von Aquarellen, die sie mit einer Geschwindigkeit produzierte, die John Eastlake und ihre Schwestern leicht beängstigend fanden. (Falls Nan Melda eine

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