Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
schnellen Wagens oder zu einer Luxusvilla, erklärte ich ihr, genauso sei es. Weil man niemandem erzählen kann , wie es wirklich ist. Man kann nur drum herumreden, bis alle erschöpft sind und es Zeit ist, zu Bett zu gehen.
    Aber Elizabeth hatte gewusst, wie es war.
    Das bewiesen erst ihre Zeichnungen, dann ihre Aquarelle.
    Es war, als bekäme man eine Zunge, nachdem man stumm gewesen war. Und noch mehr. Besser. Es war, als bekäme man seine Erinnerungen zurück - und die Erinnerungen eines Menschen bedeuten wirklich alles. Erinnerungen sind Identität. Sie sind die Person . Schon von dieser ersten Linie an - dieser unglaublich tapferen ersten Linie, die darstellen sollte, wie Meer und Himmel sich trafen - hatte sie erfasst, dass Sehen und Erinnern austauschbar sind, und sich daran gemacht, sich selbst zu heilen.
    Perse war daran nicht beteiligt gewesen. Nicht zu Anfang.
    Davon war ich überzeugt.
     
     
     
     
     
     
    V In den folgenden vier Stunden streifte ich durch Libbits Welt. Sie war ein wundervoller, oft erschreckender Aufenthaltsort. Manchmal kritzelte ich ein paar Wörter hin - Talent ist immer hungrig; fang mit dem an, was du weißt -, aber meistens waren es Bilder. Bilder waren unsere reale gemeinsame Sprache.
    Ich verstand, wieso ihre Angehörigen so rasch den Bogen von Erstaunen über Anerkennung bis hin zu Langeweile geschlagen hatten. Dazu war es teilweise gekommen, weil die Kleine so produktiv war, aber vielleicht noch mehr, weil sie zu ihnen gehörte, sie war ihre kleine Libbit, und es gibt immer die Befürchtung, dass aus Nazareth nichts Gutes kommen konnte, nicht wahr? Aber ihre Langeweile steigerte den Hunger der Kleinen nur noch mehr. Sie suchte nach neuen Mitteln, sie zum Staunen zu bringen, suchte nach neuen Sichtweisen.
    Und fand sie, Gott sei ihr gnädig.
    Ich zeichnete Vögel, die auf dem Rücken flogen, und Tiere, die über das Wasser des Swimmingpools liefen.
    Ich zeichnete ein Pferd mit einem Lächeln, das über seine Kopfränder hinausging. Ich vermutete, dass etwa um diese Zeit Perse auf der Bildfläche erschienen war. Nur …
    »Nur hat Libbit nicht gewusst , dass es Perse war«, sagte ich. »Sie dachte...«
    Ich blätterte bis fast zu ihren ersten Zeichnungen zurück. Bis zu dem runden schwarzen Gesicht mit den lächelnden roten Lippen. Auf den ersten Blick hatte ich die Zeichnung für ein Porträt von Nan Melda gehalten, aber ich hätte es besser wissen müssen - das hier war ein Kindergesicht, nicht das einer Frau. Das Gesicht einer Puppe . Plötzlich schrieb ich NOVEEN daneben - in Druckschrift und so energisch, dass Elizabeth’ alter kanariengelber Bleistift beim letzten Strich des zweiten N abbrach. Ich warf ihn zu Boden und schnappte mir einen anderen.
    Es war Noveen, durch die Perse zuerst gesprochen hatte, um ihr kleines Genie nicht zu erschrecken. Was hätte weniger bedrohlich sein können als eine kleine schwarze Mädchenpuppe, die lächelte und genau wie die geliebte Nan Melda ein zu einem Turban gebundenes rotes Kopftuch trug?
    Und war Elizabeth erschrocken oder gar verängstigt, als die Puppe auf einmal zu sprechen begann? Das glaubte ich nicht. Sie mochte auf einem eng beschränkten Spezialgebiet unglaublich begabt gewesen sein, aber sie war trotzdem nur ein kleines Mädchen von drei Jahren.
    Noveen sagte ihr Dinge, die sie zeichnen sollte, und Elizabeth …
    Ich griff wieder nach meinem Skizzenblock. Zeichnete eine auf dem Boden liegende Torte. Eine auf den Boden geklatschte Torte. Die kleine Libbit glaubte, dass Noveen sich diesen Streich erlaubt hatte, aber dahinter steckte Perse, die Elizabeth’ Fähigkeiten testete. Perse experimentierte, wie ich experimentiert hatte, und versuchte herauszufinden, was dieses neue Werkzeug leisten konnte.
    Als Nächstes war der Hurrikan Alice gekommen.
    Weil es, wie ihre Puppe ihr zugeflüstert hatte, einen Schatz gab, den ein Sturm freilegen würde.
    Also gar kein Hurrikan Alice, nicht eigentlich. Und keine Elizabeth, weil sie noch nicht Elizabeth gewesen war - nicht für ihre Familie, nicht für sie selbst. Der große Sturm des Jahres 1927 war der Hurrikan Libbit gewesen.
    Weil es Daddy gefallen würde, einen Schatz zu finden. Und weil Daddy nicht ständig daran denken sollte …
    »Sie hat sich die Suppe eingebrockt«, sagte ich mit rauer Stimme, die nicht wie meine klang. »Jetzt soll sie sie auslöffeln.«
    … wie zornig er darüber war, dass Adie mit Emery, diesem Zelluloidkragen, durchgebrannt war.
    Ja. So war’s

Weitere Kostenlose Bücher