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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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einem zugeklappten Buch.Als sie sich endlich hob, hörte ich ein lautes Keuchen. Das war ich, der darum kämpfte, sein Leben bei vollem Bewusstsein fortzusetzen. Ich stieß die Luft aus, die ich eben eingeatmet hatte, und holte erneut Luft, diesmal etwas weniger geräuschvoll. Im Halbdunkel tanzten vor meinen Augen schwarze Punkte, die allmählich verblassten. Ich erwartete, dass das auch das Schiff dort draußen tun würde - es musste eine Halluzination sein -, aber es blieb, ungefähr vierzig Meter lang und etwas weniger als ein Viertel breit. Auf den Wellen tanzend. Dabei auch leicht gierend. Der Bugspriet schien mir wie ein erhobener Zeigefinger zu drohen, wie um zu sagen: Aua, du böser Mann, jetzt bist du d…
    Ich ohrfeigte mich mit solcher Gewalt, dass mein linkes Auge tränte, aber das Schiff lag weiter dort draußen. Wenn es da war - wirklich da war -, musste Jack es vom Holzsteg des Palacio aus sehen können, das wurde mir jetzt klar. Im hinteren Teil des Wohnzimmers stand ein Telefon, aber von hier aus war das auf der Arbeitstheke in der Küche näher. Und es hatte den Vorzug, dort direkt unter den Lichtschaltern zu stehen. Ich wollte Licht, vor allem das in der Küche, diese guten, strahlend hellen Leuchtstoffröhren. Ohne das Schiff aus den Augen zu lassen, verließ ich rückwärts gehend das Wohnzimmer und betätigte alle drei Kippschalter mit dem Handrücken. Die Lampen flammten auf, und ihr nüchtern grelles Licht ließ die Perse - und alles andere außerhalb des Florida-Raums - verschwinden. Ich griff nach dem Telefonhörer, dann sank meine Hand herab.
    In meiner Küche stand ein Mann am Kühlschrank. Er trug klatschnasse Lumpen, die früher einmal Jeans und ein Hemd mit Stehkragen gewesen sein mochten. Seine Kehle, aber auch Wangen, Stirn und Unterarme schienen bemoost zu sein. Die rechte Kopfseite war eingedrückt. Blütenblätter aus Knochen ragten aus dem glatten Laub seiner dunklen Haare. Eines seiner Augen - das rechte - fehlte. Diese Augenhöhle war mit einer schwammigen Masse ausgefüllt. Das linke Auge glänzte in einem fremdartigen, entmutigenden Silber, das nichts Menschliches an sich hatte. Seine geschwollenen bloßen Füße waren aufgeplatzt, sodass die Knöchel weiß aus dem purpurroten Fleisch hervorstachen.
    Das Wesen grinste mich an. Seine Lippen schienen aufzuplatzen, als sie zurückwichen und zwei Reihen gelber Zähne in vor Alter schwarz gewordenem Zahnfleisch sehen ließen. Es hob die rechte Hand, an der ein weiteres Relikt der Perse baumelte: ein Paar Handschellen. Ein alter, verrosteter Ring umschloss das Handgelenk des Wesens. Der andere hing offen wie ein loser Unterkiefer.
    Der andere war für mich.
    Es ließ ein heiseres Zischen hören, vielleicht alles, was seine verwesten Stimmbänder noch hervorbringen konnten, und begann, unter den nüchtern grellen Leuchtstoffröhren auf mich zuzukommen. Es hinterließ Fußspuren auf dem Hartholzboden. Es warf einen Schatten. Ich konnte ein leises Knarren hören und sah, dass es einen durchnässten Ledergürtel trug - verrottet, aber bisher nicht gerissen.
    Eine eigenartige sanfte Lähmung hatte mich befallen. Ich war bei Bewusstsein, aber ich konnte nicht weglaufen, obwohl ich recht gut wusste, was die offene Handschelle bedeutete und was dieses Wesen vorhatte: Es würde mich an sich fesseln und an Bord der Fregatte oder Bark oder Brigantine oder was zum Teufel dort draußen lag, schleppen. Ich würde mich in die Besatzung einreihen müssen. Und auch wenn es an Bord der Perse vielleicht keine jungen Kabinenstewards gab, glaubte ich zu wissen, dass dieser Dienst von zwei Mädchen versehen wurde, von denen eine Lo-Lo und die andere Tessie hieß.
    Du musst weglaufen. Zieh ihm wenigstens das Telefon über den Schädel, verdammt noch mal!
    Aber ich konnte nicht. Ich glich einem von einer Schlange hypnotisierten Kaninchen. Ich schaffte es nur, einen benommenen Schritt rückwärts ins Wohnzimmer zu machen … dann noch einen … dann einen dritten. Jetzt war ich wieder im Halbschatten. Das Wesen stand so in der Küchentür, dass das grelle Neonlicht auf sein feuchtes, verwesendes Gesicht fiel und seinen Schatten über denWohnzimmerteppich warf. Noch immer grinsend. Ich überlegte, ob ich die Augen schließen und versuchen sollte, es fortzuwünschen, aber das würde nicht funktionieren; ich konnte es riechen wie einen Müllbehälter hinter einem Fischrestaurant. Und …
    »Zeit zu gehen, Edgar.«
    ...es konnte also doch reden. Die Wörter

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