Wahn - Duma Key
Wärme auf dem Gesicht und wischte mir Blut von Nase und Oberlippe. Wireman war über ein Sitzkissen gefallen. Ich half ihm auf und sah dabei, dass auch er aus der Nase blutete. Und vom linken Ohr lief ein dünner Blutfaden seinen Hals hinunter; er hob und senkte sich mit dem Hämmern seines Pulses.
»Verdammt, dieser Schrei «, sagte er. »Meine Augen tränen, und mir klingeln die Ohren wie verrückt. Kannst du mich hören, Edgar?«
»Ja«, sagte ich. »Alles in Ordnung mit dir?«
»Außer dass ich glaube, gesehen zu haben, wie ein Toter vor mir zu einer Pfütze geworden ist? Ich denke schon.« Er bückte sich, hob den stumpfen Zylinder auf und küsste ihn. »Ehre sei Gott für scheckige Dinge«, sagte er, dann lachte er bellend. »Sogar wenn sie nicht gescheckt sind.«
Wireman hielt einen Kerzenleuchter in der Hand. Die Spitze, auf die man eine Kerze stecken sollte, war dunkel angelaufen, als wäre sie mit etwas sehr Heißem in Berührung gekommen statt mit etwas Nassem und Kaltem.
»In allen Häusern, die Miss Eastlake vermietet, stehen Kerzen, weil’s hier oft Stromausfälle gibt«, sagte Wireman. »Im großen Haus haben wir ein Notstromaggregat, aber sonst nirgends, auch hier nicht. Doch im Gegensatz zu den kleineren Häusern stehen im Big Pink Kerzenleuchter aus dem Palacio , die zufällig aus Silber sind.«
»Und du hast daran gedacht«, sagte ich. Eigentlich: staunte ich.
Er zuckte mit den Schultern, dann blickte er auf den Golf hinaus. Das tat ich auch. Dort draußen waren nur Mondlicht und Sternenschein auf dem Wasser zu sehen. Zumindest im Augenblick.
Wireman fasste mich am Handgelenk. Seine Finger schlossen sich um die Stelle, wo die Handschelle gesessen hatte, und ließen mein Herz jagen. »Was?«, fragte ich rasch, weil mir die neue Angst auf seinem Gesicht nicht gefiel.
»Jack«, sagte er. »Jack ist allein im Palacio .«
Wir nahmen Wiremans Wagen. In meinem Entsetzen hatte ich weder die Scheinwerfer bemerkt noch sein Auto vorfahren gehört.
IX Mit Jack war alles in Ordnung. Ein paar von Elizabeth’ alten Freunden hatten angerufen, aber der letzte dieser Anrufe war um Viertel vor neun gekommen - eineinhalb Stunden bevor wir hereingestürmt kamen, blutig und mit wildem Blick,Wireman noch immer den Kerzenleuchter schwenkend. Im Palacio hatte es keine Eindringlinge gegeben, und Jack hatte das Schiff, das eine Zeit lang vor dem Big Pink geankert hatte, nicht gesehen. Jack hatte Popcorn aus der Mikrowelle gegessen und sich ein altes Video von Beverly Hills Cop angesehen.
Er hörte sich unsere Geschichte mit wachsendem Erstaunen, aber nicht wirklich ungläubig an; er war ein junger Mann, musste ich mir ins Gedächtnis rufen, und mit TV-SERIEN wie Akte X und Lost aufgewachsen.Außerdem passte alles zu dem, was er zuvor erfahren hatte. Als wir fertig waren, nahm er Wireman den Kerzenleuchter aus der Hand und untersuchte die Spitze, die aussah wie der schwarze Glühfaden einer durchgebrannten Birne.
»Warum ist es nicht gekommen, um mich zu holen?«, fragte er. »Ich war allein und völlig ahnungslos.«
»Ich will deiner Selbstachtung keinen Schlag versetzen«, sagte ich, »aber ich glaube nicht, dass die für diese Show Verantwortliche dir eine große Bedeutung beimisst.«
Jack begutachtete den schmalen roten Streifen an meinem Handgelenk. »Edgar, ist das, wo …«
Ich nickte.
»Scheiße«, sagte Jack halblaut.
»Hast du schon rausgekriegt, was hier läuft?«, fragte Wireman mich. »Wenn sie dir dieses Wesen auf den Hals gehetzt hat, muss sie annehmen, dass du gefährlich viel weißt, dass du sie enttarnen kannst.«
»Ich glaube nicht, dass jemals irgendwer alles erfahren wird«, sagte ich, »aber ich weiß, wer dieses Wesen war, als es noch gelebt hat.«
»Wer?« Jack starrte mich mit großen Augen an. Wir standen in der Küche, und Jack hielt noch den Kerzenleuchter in der Hand. Jetzt stellte er ihn auf die Arbeitsplatte.
»Emery Paulson, Adriana Eastlakes Ehemann. Die beiden sind aus Atlanta gekommen, um bei der Suche zu helfen, als Laura und Tessie verschwunden waren, das stimmt, aber sie haben Duma Key nie mehr verlassen. Dafür hat Perse gesorgt.«
X Wir gingen in den Salon, in dem ich Elizabeth Eastlake erstmals begegnet war. Der niedrige lange Tisch stand noch dort, aber er war jetzt abgeräumt. Seine polierte Oberfläche kam mir vor wie eine sehr treffende Verspottung des Lebens.
»Wo sind sie?«, fragte ich Wireman. »Wo sind
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