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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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deshalb glaubt, dass deine Tochter sie selbst reingelassen hat, obwohl es mitten in der Nacht war.«
    »Oder Mary hat einfach überall geklingelt, bis irgendjemand sie reingelassen hat.« Mein fehlender Arm juckte. Dieses Jucken saß tief. Es war schläfrig, fast verträumt. »Dann ist sie zu Illys Wohnung raufgegangen und hat dort geklingelt. Sagen wir, sie hat sich als jemand anders ausgegeben.«
    »Edgar, vermutest du das bloß oder...«
    »Sagen wir, sie hat vorgegeben, von einem Gospelchor zu kommen, der sich Hummingbirds nennt, und sagen wir weiter, sie hat durch die Tür gerufen, dass Carson Jones einen schlimmen Unfall hatte.«
    »Wer ist...«
    »Nur nennt sie ihn Smiley, und das ist natürlich überzeugend.«
    Wireman war wieder da. Ebenso der schwebende Edgar. Der erdgebundene Edgar sah all die profanen Dinge eines sonnigen Morgens auf Duma Key in Florida. Der Edgar über meinem Kopf sah mehr. Nicht alles, nur so viel, dass es zu viel war.
    »Und dann, Edgar?«, fragte Wireman. Er sprach sehr leise. »Was glaubst du?«
    »Sagen wir, dass Illy die Tür öffnet - und auf einmal sieht sie sich einer Frau gegenüber, die sie mit einer Pistole bedroht. Sie kennt diese Frau irgendwoher, aber sie hat in dieser Nacht schon einen schlimmen Schrecken hinter sich, sie ist desorientiert und kann sie nicht einordnen - ihr Gedächtnis versagt. Aber das ist vielleicht nur gut so. Mary befiehlt ihr, sich umzudrehen, und als sie das tut … als sie das tut …« Ich fing wieder an zu weinen.
    »Edgar, Mann, nicht«, sagte Jack. Auch er war den Tränen nahe. »Das sind alles nur Vermutungen.«
    »Sind es nicht«, sagte Wireman. »Lass ihn reden.«
    »Aber wozu müssen wir wissen, wie …«
    »Jack … muchacho... wir wissen nicht, was wir wissen müssen. Also lass den Mann reden.«
    Ich hörte ihre Stimmen, aber wie aus weiter Ferne.
    »Sagen wir, dass Mary mit der Pistole zuschlägt, als sie sich umdreht.« Ich wischte mir die Tränen mit dem Handballen ab. »Sagen wir, dass sie mehrmals, vier- oder fünfmal zuschlägt. Im Film kriegt man nur einen Schlag über den Schädel und ist sofort bewusstlos. Ich bezweifle, dass es im richtigen Leben auch so ist.«
    »Nein«, murmelte Wireman, und dieses Sagen-wir-Spiel sollte sich als allzu zutreffend erweisen. Als Folge mehrerer mit großer Wucht geführter Schläge hatte mein If-So-Girl drei Schädelbrüche erlitten und stark geblutet.
    Mary schleppte sie mit sich. Die Blutspur führte durch die Wohnküche (in der wahrscheinlich noch der Geruch der verbrannten Zeichnung in der Luft hing) und den kurzen Gang zwischen dem Schlafzimmer und der Ecke, die Illy als Arbeitsplatz gedient hatte. Im Bad am Ende des Flurs ließ Mary die Wanne volllaufen und ertränkte meine bewusstlose Tochter darin wie ein unerwünschtes Kätzchen. Als die Arbeit getan war, ging Mary ins Wohnzimmer, setzte sich aufs Sofa und schoss sich in den Mund. Die Kugel trat aus der Schädeldecke aus und klatschte ihre Vorstellungen über Kunst (und auch einen Großteil ihrer Haare) an die Wohnzimmerwand hinter ihr. Inzwischen war es fast vier Uhr. Der an Schlaflosigkeit leidende Mieter der Wohnung darunter erkannte das Geräusch als Schuss und alarmierte die Polizei.
    »Wozu sie ertränken?«, fragte Wireman. »Das verstehe ich nicht.«
    Weil das Perses Art ist, dachte ich.
    »Darüber wollen wir jetzt nicht nachdenken«, sagte ich. »Okay?«
    Er griff nach meiner verbliebenen Hand und drückte sie. »Okay, Edgar.«
    Und wenn wir diese Sache hinkriegen, brauchen wir es vielleicht nie zu tun, dachte ich.
    Aber ich hatte meine Tochter gezeichnet. Dessen war ich mir sicher. Ich hatte sie am Strand gezeichnet.
    Meine tote Tochter. Meine ertränkte Tochter. In den Sand gezeichnet, damit die Wellen sie auslöschten.
    Sie werden es wollen, hatte Elizabeth gesagt, aber Sie dürfen nicht.
    Oh, aber Elizabeth.
    Manchmal bleibt einem keine Wahl.
     
     
     
     
     
     
    III Wir standen in der sonnigen Küche im Big Pink und tranken starken Kaffee, bis uns der Schweiß auf dem Gesicht stand. Ich nahm drei Aspirin, fügte eine weitere Lage Koffein hinzu und schickte dann Jack nach oben, damit er mir zwei Artisan-Zeichenblöcke holte. Außerdem sollte er jeden Buntstift spitzen, den er finden konnte.
    Wireman füllte eine Tragetasche mit Proviant aus dem Kühlschrank: essfertige Karotten, Gurken in Streifen, ein Sixpack Pepsi, drei große Flaschen Evian, etwas Roastbeef in Scheiben und ein Astronautenhähnchen, wie Jack es

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