Wahn - Duma Key
zeichnen lassen, Edgar«, sagte Jack, »und ich weiß, dass meine Mutter total aus dem Häuschen wär - aber ich finde, Wireman hat recht. Wir müssen los.«
»Warst du schon mal am Südende der Insel?«
»Äh, nein.«
Das hatte ich nicht anders erwartet. Aber als ich die Zeichnung der Hebemechanik der Zugbrücke von meinem Block riss, sah ich zu Wireman hinüber. Trotz des Bleis, das sich in meinem Herz und meinen Gefühlen breitgemacht zu haben schien, merkte ich, dass dies etwas war, das mich wirklich interessierte. »Wie steht’s mit dir? Warst du jemals im ursprünglichen Heron’s Roost, um ein bisschen herumzustochern und zu schnüffeln?«
»Nein, noch nicht.« Wireman trat ans Fenster und sah hinaus. »Die Zugbrücke ist noch oben - von hier aus kann ich die Westhälfte gegen den Himmel erkennen. So weit, so gut.«
Ganz so leicht konnte man mich nicht ablenken. »Warum nicht?«
»Miss Eastlake hat mir davon abgeraten«, sagte er, ohne sich mir wieder zuzuwenden. »Sie meinte, dort wär die Umwelt verpestet. Grundwasser, Flora, sogar die Luft. Sie hat gesagt, im Zweiten Weltkrieg hätte das Army Air Corps den Süden der Insel als Versuchsgelände benutzt und dabei gründlich verseucht, was der Grund dafür sein dürfte, dass der Pflanzenwuchs dort so üppig ist. Sie hat gesagt, dass der hiesige Giftsumach der schlimmste in ganz Amerika ist - schlimmer als die Syphilis vor Penizillin, so hat sie sich ausgedrückt. Wenn man ihn mit bloßer Haut berührt, hat man jahrelang damit zu tun. Die Symptome scheinen zu verschwinden, kommen aber wieder. Und das Zeug wächst überall. Das hat sie gesagt.«
Alles nicht uninteressant, aber Wireman hatte meine Frage nach dem Warum noch immer nicht beantwortet. Daher wiederholte ich sie.
»Na ja, sie hat außerdem behauptet, dass es dort Schlangen gibt«, sagte er kleinlaut und drehte sich endlich wieder um. »Ich habe entsetzliche Angst vor Schlangen. Die habe ich, seit ich als kleiner Junge bei einem Campingausflug mit meinen Eltern eines Morgens aufgewacht bin und feststellen musste, dass ich mir den Schlafsack mit einer Milchnatter teilte. Sie war sogar in mein Unterhemd gekrochen. Sie hat mich mit Moschus besprüht. Ich dachte: Scheiße, du bist vergiftet! Zufrieden?«
»Ja«, sagte ich. »Hast du ihr von diesem Erlebnis vor oder nach ihrer Warnung erzählt, dass es am Südende von Schlangen wimmelt?«
Er sagte steif: »Das weiß ich nicht mehr.« Dann seufzte er. »Wahrscheinlich vorher. Ich sehe, worauf du hinauswillst - sie wollte mich von dort fernhalten.«
Das habe nicht ich, sondern du gesagt, dachte ich. »Sorgen mache ich mir in erster Linie um Jack«, sagte ich. »Aber wir wollen lieber auf Nummer sicher gehen.«
»Um mich? « Jack wirkte verblüfft. »Ich habe nichts gegen Schlangen. Und ich weiß, wie Giftsumach und -efeu aussehen. Ich war Pfadfinder.«
»Verlass dich auf mich«, sagte ich und fing an, ihn zu zeichnen. Ich arbeitete rasch und widerstand dem Drang, ins Detail zu gehen, wie es ein Teil meines Ich offenbar tun wollte. Während ich zeichnete, begann der erste Autofahrer jenseits der Zugbrücke wütend zu hupen.
»Klingt so, als wäre die Brücke wieder mal defekt«, sagte Jack.
»Ja«, stimmte ich zu, ohne von meiner Zeichnung aufzusehen.
V Mit Wiremans Porträt beeilte ich mich noch mehr, musste aber auch hier gegen den Drang ankämpfen, mich in die Arbeit hineinzuknien... denn durch Arbeit wurden Kummer und Schmerz in Schach gehalten. Arbeit war wie eine Droge. Doch dieser Tag würde irgendwann zu Ende gehen, und ich hatte so wenig Lust wie Wireman, Emery ein zweites Mal zu begegnen. Ich wollte, dass diese Sache vorüber war und wir drei weg von der Insel waren - weit weg -, wenn diese Sonnenuntergangsfarben aus dem Golf aufzusteigen begannen.
»Okay«, sagte ich. Ich hatte Jack in Blau und Wireman in leuchtendem Orange gezeichnet. Die Porträts waren nicht perfekt, aber ich fand, dass ich das Wesentliche getroffen hatte. »Nur noch eine Kleinigkeit.«
Wireman stöhnte. »Edgar...!«
»Nichts, was ich zeichnen müsste«, sagte ich und klappte den Block mit den beiden Porträtskizzen zu. »Lächle einfach für den Künstler, Wireman. Aber denk vorher an etwas besonders Erfreuliches.« »Meinst du das ernst?«
»Todernst.«
Seine Stirn bekam Falten... dann wurde sie wieder glatt. Er lächelte.Wie jedes Mal hellte das sein ganzes Gesicht auf und machte einen neuen Menschen aus ihm.
Ich wandte mich Jack
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