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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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dass nur Jack darauf anspricht, kommt daher, dass wir... nun... sagen wir, wir sind dagegen immun. Irgendwie eine Ironie des Schicksals, oder?«
    Jack saß gegen das Lenkrad gelehnt und stöhnte.
    »Was kannst du für ihn tun, muchacho? Überhaupt irgendwas?«
    »Ich denke, schon. Hoffentlich.«
    Ich hatte meine Zeichenblöcke auf den Knien, meine Buntstifte und Radiergummis in einer Gürteltasche. Jetzt blätterte ich Jacks Porträt auf und fand einen meiner Knetgummis. Damit radierte ich seinen Mund und die unteren Augenbögen bis zu den Augenwinkeln hinaus weg. Das Jucken in meinem rechten Arm war schlimmer als je zuvor, sodass ich nicht die geringsten Zweifel hatte, dass mein Plan aufgehen würde. Ich rief mir Jacks Lächeln in meiner Küche ins Gedächtnis - wie er gelächelt hatte, als ich ihn aufgefordert hatte, an etwas besonders Schönes zu denken - und zeichnete es rasch mit meinem mitternachtsblauen Stift. Dafür brauchte ich kaum dreißig Sekunden (entscheidend waren eigentlich dieAugen, bei einem Lächeln sind es immer die Augen), aber diese wenigen Striche veränderten die ganze Idee von Jack Cantoris Gesicht.
    Und ich erlebte etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. Während ich zeichnete, sah ich ihn ein Mädchen in einem Bikini küssen. Nein, ich sah nicht nur, ich konnte ihre glatte Haut fühlen, sogar ein paar Sandkörner, die sich in der Höhlung ihres Kreuzes festgesetzt hatten. Ich konnte ihr Shampoo riechen und einen leichten Hauch von Salz auf ihren Lippen schmecken. Sie hieß Caitlin, und er nannte sie Kate.
    Ich steckte meinen Stift in die kleine Gürteltasche zurück und zog den Reißverschluss zu. »Jack?« Ganz ruhig. Er hielt die Augen noch geschlossen, und sein Gesicht war in Schweiß gebadet, aber ich fand, dass seine Atmung sich beruhigt hatte. »Wie geht’s dir jetzt? Etwas besser?«
    »Ja«, sagte er, ohne die Augen zu öffnen. »Was hast du gemacht?«
    »Nun, solange wir drei unter uns sind, können wir es beim richtigen Namen nennen: Magie. Ein kleiner Gegenzauber, den ich bei dir angewandt habe.«
    Wireman griff mir über die Schulter, nahm den Block von meinen Knien, studierte das Porträt und nickte dann. »Ich fange an zu glauben, dass sie dich besser in Ruhe gelassen hätte, muchacho .«
    Ich sagte: »Es war meine Tochter, die sie hätte in Ruhe lassen sollen.«
     
     
     
     
     
     
    X Wir blieben noch fünf Minuten, wo wir waren, damit Jack sich erholen konnte. Schließlich verkündete er, dass er sich nun imstande fühle, weiterzufahren. Seine gesunde Farbe war zurückgekehrt. Ich fragte mich, ob es ähnliche Probleme gegeben hätte, wenn wir mit dem Boot zum Südende gefahren wären.
    »Wireman, hast du schon mal Fischerboote vor der Südspitze von Duma Key ankern gesehen?«
    Er überlegte. »Wenn du so fragst, nein. Sie bleiben meistens vor Don Pedro Island. Merkwürdig, nicht wahr?«
    »Nicht merkwürdig, sondern verdammt unheimlich«, sagte Jack. »Wie diese Straße.« Sie war jetzt kaum mehr so breit wie eine Fahrspur. Seetraubenzweige und Äste von Banyanbäumen scharrten die Flanken des langsam weiterrollenden Mercedes entlang und machten dabei höllische Kratzgeräusche. Die von Baumwurzeln untertunnelte und aufgewölbte Straße, deren Belag an einigen Stellen zerbröckelt und mit Schlaglöchern durchsetzt war, führte tiefer ins Inselinnere hinein und begann jetzt ebenfalls anzusteigen.
    Wir krochen weiter, eine langsame Meile nach der anderen, während Blätter und Zweige an die Seiten des alten Mercedes klatschten und hämmerten. Ich rechnete damit, dass die Straße irgendwann aufhören würde, aber das dichte Laubdach hatte sie bis zu einem gewissen Grad vor Witterungseinflüssen geschützt, sodass sie nie ganz unbefahrbar wurde. Die Banyanbäume wichen einem düsteren Wald aus Brasilianischen Pfefferbäumen, und hier sahen wir das erste Stück Wild: ein riesiger Rotluchs stand einen Augenblick auf den zerbröckelnden Überresten der Straße, fauchte uns mit angelegten Ohren an und flüchtete dann ins Unterholz. Etwas weiter fielen ein Dutzend fetter schwarzer Raupen auf die Windschutzscheibe, zerplatzten und hinterließen eine gummiartige Schmiere, gegen die Scheibenwischer und Waschanlage wenig ausrichten konnten; die Wischer verteilten das Zeug nur, sodass der Blick durch die Scheibe dem glich, der sich einem von grauem Star befallenen Auge geboten hätte.
    Ich ließ Jack halten, stieg aus, öffnete den Kofferraum und fand darin ein Autoleder. Damit

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