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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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verdeckenden Haaren ignorieren konnte. Die Figur war auch äußerst zart, fast durchsichtig. Aber als ich sie mit beiden Händen zu zerbrechen versuchte, erwies sie sich als hart wie Stahl.
    »Edgar!«, kreischte Jack.
    »Haltet sie auf!«, knurrte ich. »Ihr müsst sie aufhalten!«
    Ich steckte sie in meine Hemdtasche und spürte sofort eine ekelhafte Wärme, die sich über meine Haut auszubreiten begann. Und das Ding trommelte an meine Brust. Mein unzuverlässiger Mojo-Arm war wieder fort, deshalb klemmte ich eine Flasche Evian unter meinen Armstumpf und schraubte sie so auf. Diesen unbeholfenen und zeitraubenden Vorgang wiederholte ich mit der zweiten Flasche.
    Über mir rief Wireman mit einer Stimme, die beinahe fest klang: »Stehen bleiben! Dieses Ding hat eine Silberspitze! Halt, oder ich schieße!«
    Die Antwort darauf war selbst auf dem Boden der Zisterne deutlich zu hören. »Glaubst du, dass du schnell genug nachladen kannst, um uns alle drei zu erschießen?«
    »Nein, Emery«, antwortete Wireman. Er sprach wie mit einem Kind, und seine Stimme war ganz fest geworden. Ich liebte ihn niemals mehr als in diesem Augenblick. »Ich gebe mich mit dir zufrieden.«
    Jetzt kam der schwierige Teil, der schreckliche Teil.
    Ich begann die hintere Kappe der Stablampe abzuschrauben. Bei der zweiten Umdrehung erlosch das Licht, und ich blieb in fast völliger Dunkelheit zurück. Ich kippte die dicken Monozellen aus der Stahlhülse der Stablampe, dann tastete ich nach der ersten Flasche Evian. Meine Finger schlossen sich um sie, und ich begann den Zylinder damit zu füllen, wobei ich nach Gefühl arbeitete. Ich hatte keine Ahnung, wie viel Wasser die Stablampe fassen würde, und glaubte, dass eine Flasche sie bis zum Rand füllen würde. Das war ein Irrtum. Als ich nach der zweiten griff, musste es auf Duma Key endgültig Nacht geworden sein. Das sage ich, weil die Porzellanfigur in meiner Hemdtasche in diesem Augenblick zum Leben erwachte.
     
     
     
     
     
     
    X Sollte ich irgendwann an diesen letzten verrückten Ereignissen in der Zisterne zweifeln, brauche ich mir nur das Gewirr aus weißen Narben auf meiner linken Brustseite anzusehen. Sähe mich jemand nackt, würden sie ihm nicht besonders auffallen; wegen meines Unfalls ist mein ganzer Körper mit Narben übersät, und dieses kleine weiße Bündel geht leicht in den auffälligeren unter. Aber diese Narben stammen von den Zähnen einer lebenden Puppe. Von einer, die sich durch mein Hemd und meine Haut bis in die Muskeln darunter fraß.Von einer, die sich bis zu meinem Herzen durchfressen wollte.
     
     
     
     
     
     
    XI Die zweite Flasche Evian warf ich beinahe um, bevor ich sie zu fassen bekam. Das lag hauptsächlich an meiner Überraschung, aber ich hatte auch starke Schmerzen und schrie laut auf. Ich spürte, dass erneut Blut zu fließen begann; diesmal lief es unter meinem Hemd in die Falte zwischen Brustkorb und Bauch. Sie bewegte sich in meiner Hemdtasche, wand sich darin, und ihre Zähne drangen in meine Haut ein und bissen und pflügten , gruben tiefer und tiefer. Ich musste sie herauszerren und riss dabei ein ordentliches Stück blutigen Stoff und Fleisch mit. Die Figur fühlte sich nicht mehr kühl und glatt an. Sie war jetzt heiß und wand sich in meinem Griff.
    »Komm doch!«, brüllte Wireman über mir. »Komm her, wenn du willst!«
    Sie schlug ihre Porzellanzähne, scharf wie Nadeln, in das Gewebe zwischen Daumen und Zeigefinger meiner Hand. Ich heulte auf. Trotz meiner Wut und meiner Entschlossenheit hätte sie jetzt entkommen können, aber Nan Meldas silberne Armreife rutschten herab, und ich spürte, wie sie vor ihnen tiefer in meine Handfläche zurückwich. Tatsächlich glitt eines ihrer Beine zwischen Ring- und Mittelfinger heraus. Ich presste alle meine Finger zusammen und hielt so die Figur fest. Hielt sie fest. Ihre Bewegungen wurden träge. Ich kann nicht beschwören, dass einer der Armreife sie berührte - hier unten war es stockfinster -, aber ich bin eigentlich davon überzeugt.
    Über mir war der hohle, dumpfe Druckluftknall der Harpunenpistole zu hören, dann kam ein Aufschrei, der durch mein Gehirn zu zucken schien. Darunter - dahinter - konnte ich Wireman rufen hören: »Hinter mich, Jack. Nimm eine der...« Dann nichts mehr außer grunzenden Schreien meiner Freunde und dem wütenden, unirdischen Lachen der beiden seit Langem toten Kinder.
    Ich hielt die umgedrehte Stablampe zwischen den Knien und brauchte niemanden, der mit

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