Wahn und Willkür: Strauß und seine Erben oder wie man ein Land in die Tasche steckt (German Edition)
hinwegsetzend, suchte sich der Vorsitzende Brixner selbst seine Beisitzerin aus, die Richterin Heinemann. Damit verletzte er den im Grundgesetz verbürgten Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Artikel 101 ). Rechtsanwalt Strate zufolge lagen für diese Auswahl sachfremde Motive nahe. Denn die Richterin Heinemann habe zuvor an richterlichen Kollegialentscheidungen mitgewirkt, die – vorsichtig ausgedrückt – nicht über alle Zweifel erhaben waren.
Für Mollath war ein Pflichtverteidiger bestellt. Den aber lehnte Mollath ab, weil der Anwalt für ihn nichts getan und bei allen Haftprüfungsterminen gefehlt habe. Er ersuchte die Richter schriftlich, einen anderen Verteidiger zu bestellen: »Ohne ordentlich arbeitenden Rechtsanwalt ist mein Schicksal besiegelt.« Obwohl auch der Anwalt mehrmals selbst beantragt hatte, ihn von seiner Aufgabe zu entbinden, gab die Strafkammer dem rechtswidrigerweise nicht statt. Überdies vernahm sie den Pflicht verteidiger in einem Punkt als Zeugen gegen Mollath – aufgrund des unerträglichen Interessenkonflikts eine schwere Rechtsbeugung.
Bei Eröffnung der Verhandlung stellte der Vorsitzende Richter laut Protokoll fest, dass die Strafkammer »auf Antrag der Staatsanwaltschaft« das Sicherungsverfahren eröffnet habe. Also ein Verfahren, in dem es wegen der Schuldunfähigkeit des Angeklagten nur noch um die Anordnung von Maßregeln der Sicherung und Besserung (anstelle eines Hauptverfahrens) gehen sollte. Anwalt Strate fand jedoch heraus, dass es einen solchen Antrag der Staatsanwaltschaft überhaupt nicht gab!
Doch nun zum zentralen Punkt der Causa Mollath, seinem angeblichen paranoiden Wahn. Unter Bezug auf Hoff/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie , das den Wahn als mit Gewissheit vertretene, im Widerspruch zur Wirklichkeit stehende Fehlbeurteilung definiert, führte Anwalt Strate aus, was jedem Laien selbstverständlich ist: »Wer einen Wahn behauptet, muss die Diskrepanz zwischen Wahn und Wirklichkeit aufzeigen.« Strate weiter: »Hieran fehlt es in dem Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth völlig.«
Strate stellte heraus, »nur eine einzige Nachfrage« bei dem damaligen Niederlassungsleiter der HypoVereinsbank und seine anschließende Vernehmung in der Hauptverhandlung hätten ergeben, dass ihm schon Ende März 2003 ein Sonderrevisionsbericht der Bank vorlag, in dem die Angaben Mollaths als zutreffend bezeichnet wurden. Genau dies aber hatten Staatsanwaltschaft und Gericht geflissentlich unterlassen, obwohl aus der von Mollath übergebenen Korrespondenz mit der HypoVereinsbank ersichtlich war (u. a. aus einem Schreiben der Bank vom 2 . Januar 2003 ), dass die Innenrevision dabei war, seine Vorwürfe zu überprüfen.
Schließlich kündigte Strate an, dass im Verlauf des Wiederaufnahmeverfahrens die aufgezeigten Verfälschungen des Sachverhalts sich »als die Spitze eines Eisbergs« erweisen würden. Bei der Beweiserhebung sei es seinerzeit zu »Manipulationen und Falschaussagen« gekommen.
Der Strafrechtsprofessor Henning Müller schrieb in einem Blog zum Wiederaufnahmegesuch Strates: »Der Antrag überzeugt mich.«
Die von Strate aufgezeigten Wiederaufnahmegründe waren zwingend. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr: Mollath würde bald freikommen. Zwei Jahre hatte ich mit anderen zusammen dafür gekämpft. Eine Last fiel von mir ab.
Vorsätzliche Gesetzesverletzungen und Versagen der Kontrolle
Mit der in greifbare Nähe gerückten Freilassung Mollaths freilich durfte das an ihm verübte Verbrechen nicht für erledigt erklärt werden. Es galt nunmehr, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, allen voran die Justizministerin Beate Merk. Sie hatte vor dem Landtag immer wieder schwadroniert, dass Mollath völlig zu Recht weggesperrt und am korrekten Verhalten von Staatsanwaltschaft und Gericht nicht zu zweifeln sei. Die Außenstehenden waren klug genug, die Wahrheit zu erkennen. War nur sie dazu außerstande? Sie, die volle Akteneinsicht hatte? Warum wohl hatte sie dem Landtag die Schwarzgeldbeweise in Form von Überweisungen auf Schweizer Nummernkonten und Schweizer Anlagenverzeichnisse unterschlagen? Warum hatte sie dem Landtag die eidesstattliche Versicherung des Zahnarztes Braun verschwiegen?
Vor allem galt es, jetzt die politischen Verflechtungen offenzulegen – bis hinauf zum früheren Ministerpräsidenten Edmund Stoiber. Dieser Kampf würde noch schwer werden. Das zeigte sich schon daran, dass, wie die SZ am 22 . Februar 2013 berichtete, der
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