Wahn und Willkür: Strauß und seine Erben oder wie man ein Land in die Tasche steckt (German Edition)
Recht deutschlandweit einen erstklassigen Ruf.« War es denn anderswo noch schlimmer? Jedenfalls war Nerlich Merks Kronzeuge. Man musste ihr dankbar sein, das sie ihn mitgebracht hatte.
»Merk-Würdigkeiten«
In der Münchner Runde des Bayerischen Fernsehens am 13 . Dezember 2012 versuchte Beate Merk nochmals, die Wahrheit durch üppig aufgetragene Schminke zu verdecken. Doch die SZ konterte sogleich. Unter der Überschrift: »Die Fakten sprechen eine andere Sprache«, wies sie nach, mehrere Aussagen der Ministerin würden »mit der Aktenlage kollidieren«. Vorerst freilich konnte Merk sich in den Weihnachtsfrieden hinüberretten. Dass Mollath auch in dieser Zeit eingeschlossen blieb, entlockte ihr kein Bedauern.
Häftlinge, die an Weihnachten etwa drei oder vier Tage vor ihrer Entlassung stehen, werden von der Justiz generell vorher freigelassen, damit sie den Heiligabend bei ihren Familien verbringen können – allein schon um den Zusammenhalt zu fördern. Beate Merk war 2012 die einzige unter den Justizministern und Justizministerinnen der 16 Bundesländer, die auf vollem Vollzug der Haftstrafen bestand.
Der Umstand, dass Merk den Landtag nachweislich mehrmals getäuscht und die Öffentlichkeit wiederholt mit der Unwahrheit bedient hatte, störte Seehofers Frieden nicht. So etwas war bei ihm augenscheinlich kein Grund, ein Kabinettsmitglied zu entlassen. Kurz vor Weihnachten hielt er in Nürnberg eine Kabinettssitzung ab – standesgemäß im Rittersaal der Kaiserburg. Es wurden Geschenke verteilt, Plätzchen gegessen und ein Lied auf den Weihnachtsfrieden gesungen. Nachher ging man über den Christkindlmarkt, anschließend besuchte man werbewirksam eine ökumenische Andacht. Beate Merk konnte sicher sein, dass sie von dem gemeingefährlichen Nürnberger Bürger Mollath nicht angefallen und gewürgt wurde. Denn dank ihres Einsatzes für die Sicherheit der Allgemeinheit war er weiterhin weggesperrt.
Ein anderer Nürnberger Bürger schien recht unglücklich zu sein. Anke Domscheit-Berg berichtete in einem Internetartikel, sie habe den früheren Ministerpräsidenten Günther Beckstein am 6 . Dezember 2012 auf der Demokratietagung in Speyer auf den Fall Mollath angesprochen. Beckstein habe die Anordnung der Wiederaufnahme des Verfahrens durch Seehofer und Merk scharf gerügt – das sei ein politischer Eingriff in den Rechtstaat. Mollath hätte doch selbst die Wiederaufnahme betreiben können, die Medien würden den Fall falsch darstellen. Weder sie noch ein anwesender Jurist aus Nürnberg hätten ihn umstimmen können.
Das neue Jahr 2013 begann hoffnungsvoll. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erklärte, sie halte es für »absolut richtig«, Mollath von einem anderen Gutachter untersuchen zu lassen. Sie hatte offenbar ein Gespür. Zwei Monate zuvor hatte sie gegenüber der Passauer Neuen Presse geäußert: »Der Fall Mollath darf in die Rechtsgeschichte nicht als Justizskandal eingehen.« Im März 2013 ließ sie über einen Sprecher verlauten: »Das Bundesjustizministerium informiert sich über den Verlauf des Falles Mollath.« Das war wohl ein Wink mit dem Zaunpfahl, Beate Merk dürfte ihn verstanden haben. Denn nach Artikel 84 des Grundgesetzes übt die Bundesregierung die Aufsicht darüber aus, dass die Länder die Bundesgesetze – hier das Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung – ordnungsgemäß ausführen. »Die Bundesregierung kann zu diesem Zweck Beauftragte zu den obersten Landesbehörden entsenden«, heißt es dort weiter.
Strafanzeige und Wiederaufnahmeantrag
Es war ein Paukenschlag: Am 4 . Januar 2013 erstattete Rechtsanwalt Gerhard Strate, der inzwischen die Vertretung Mollaths für das angestrebte Wiederaufnahmeverfahren übernommen hatte, Strafanzeige bei der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg gegen den Richter Armin Eberl und den Facharzt Klaus Leipziger wegen schwerer Freiheitsberaubung. In einer brillanten Begründung wies er nach, dass beide einem Verbot des Bundesverfassungsgerichts vom 9 . Oktober 2001 zuwidergehandelt hatten. Danach war es als Verstoß gegen die Menschenwürde untersagt, Personen gegen ihren erklärten Willen zwangsweise einer medizinischen Untersuchung zuzuführen und sie damit zu Gegenständen herabzustufen. Richter Eberl hatte sich darüber hinweggesetzt, er hatte Mollath festnehmen und in die forensische Abteilung des Bezirkskrankenhauses Erlangen zu einer Untersuchung verbringen lassen. Das hatte er bald darauf wiederholt, indem er
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