Wahn
langgezogenes bronchitisches Brodeln, als würde jemand mit einem Strohhalm in eine Flüssigkeit blasen. Lauteres Lachen vermied er ganz und gar, da es häufig in einem heftigen krampfartigen Husten endete.
Natürlich machte ich mir über diesen exzessiven Nikotinmissbrauch meines Freundes große Sorgen. Einmal kam er zu einem Gesundheitscheck. Dabei wurde auch eine Ultraschalluntersuchung der Halsschlagadern gemacht. Obwohl Hans-Friedrich gerade achtundvierzig Jahre alt war, waren die Wände der Arterien schon deutlich durch arteriosklerotische Kalkablagerungen verdickt; es bestand also die konkrete Gefahr eines Schlaganfalls.
Reden half nichts. Ich empfahl ihm einen Nikotinkaugummi und verordnete ein Nikotinpflaster. Fehlanzeige: Er rauchte in unveränderter Heftigkeit und Frequenz weiter. Es handelte sich um eine schwere Sucht. Dabei stand Hans-Friedrich meinen Bemühungen keinesfalls ablehnend gegenüber. Eigentlich wollte er aufhören, aber er war zu schwach dazu. »Es ist eine Sucht, eine schlimme Gier. Sobald ich eine Zigarette ausgedrückt habe, lechze ich nach der nächsten. Ich weiß, dass ich mich damit kaputt mache, aber was soll ich tun? Ich kann nicht anders, es ist, wie wenn in meinem Hirn ein Schalter umgelegt ist, immer nur die Gier und das Verlangen nach Nikotin. Schrecklich.«
Und so war es tatsächlich. Es bestand eine unstillbare Gier nach dem Suchtmittel; im Fachjargon wird dies als »Craving« bezeichnet, ein Begriff, der mit »Begierde, Verlangen« übersetzt werden kann. Das Craving kommt auch bei anderen Süchten wie der Alkohol- oder Medikamentensucht vor. In den letzten Jahren ist zur Entstehung von Süchten viel geforscht worden. Das »Belohnungssystem« des Gehirns spielt dabei eine wichtige Rolle.
Wenn zum Beispiel ein Affe im Rahmen eines Experimentes eine Aufgabe richtig löst und mit einer Banane belohnt wird, kommt es in seinen vorderen Hirnanteilen zu einer Ausschüttung des Botenstoffes Dopamin. Vor allem eine kleine Ansammlung von Nervenzellen, das Kerngebiet des Nucleus acumbens, wird aktiviert. Diese Neurone verbinden die Hirnzentren miteinander, die alle an der emotionalen Verarbeitung von äußeren Reizen beteiligt sind, und sorgen dafür, dass der Affe Glück und Zufriedenheit infolge der Belohnung seiner Leistung verspürt. Diese positiven Gefühle wecken automatisch den Wunsch nach einer Wiederholung. Der Schüler, der bei einer Klassenarbeit »Sehr gut« schreibt, möchte unbedingt diesen Erfolg und die damit verbundene Befriedigung wiederholen – der Langstreckenläufer trainiert hart, um immer wieder das Glücksgefühl zu erleben, auf dem Siegertreppchen stehen zu können.
Suchtmittel sind ebenfalls in der Lage, das Belohnungssystem zu stimulieren und kurzzeitig ein Wohlbefinden zu erzeugen. Der Süchtige giert regelrecht nach dem positiven Gefühl, belohnt zu werden, und täuscht seinem Gehirn mit Alkohol, Nikotin oder einer Droge eine Belohnung ohne entsprechend vollbrachter Leistung vor.
Gemäß dieser Theorie war Hans-Friedrichs ausgeprägte Zigarettensucht also nichts anderes als die fortwährende Stimulation seines Wohlfühlsystems im Gehirn. Mit der fatalen Konsequenz, dass sich sein Körper selbst betrog und die gesundheitlichen Schäden durch das Rauchen in Form von bösartigen Krebserkrankungen, Herzinfarkt und Schlaganfall verdrängte. Schon sehr bald sollten die negativen Folgen von Hans-Friedrichs Nikotinmissbrauch zumindest vorübergehend sein Leben verändern.
Es war Freitagabend. Ich packte gerade noch ein paar Unterlagen zusammen und freute mich auf das bevorstehende Wochenende, als mir ein dringendes Telefonat durchgestellt wurde. Es war Iris. Sie klang sehr aufgeregt: »Ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass Hans-Friedrich heute Morgen wegen eines Herzinfarktes in euer Klinikum eingeliefert worden ist. Er liegt auf der kardiologischen Intensivstation. Könntest du dich um ihn kümmern?«
Ich beruhigte Iris und versprach, sofort nach Hans-Friedrich zu schauen und sie dann zurückzurufen. Als Erstes rief ich den Chef der Kardiologie an.
»Ihr Freund hat einen Vorderwandinfarkt, zwei Herzkranzgefäße waren verschlossen. Wir haben sie mit rT-PA wieder frei bekommen und mit Stents versorgt, es geht ihm den Umständen entsprechend gut.« Bei rt-PA (Tissue Plasminogen Activator) handelt es sich um ein Medikament, welches in der Lage ist, Blutgerinnsel, die eine Arterie verstopfen, aufzulösen. Es wird beim Herzinfarkt über einen in die
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