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Wahn

Wahn

Titel: Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christof Kessler
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Leistenbeuge eingeführten Katheter eingespritzt. Ein Stent ist ein kleines Röhrchen, welches in die verstopfte Arterie eingeführt wird, um diese offen zu halten.
    »Darf ich noch eine Bemerkung machen?«, fügte der Herzspezialist hinzu. »Dein Freund ist in einem miserablen Zustand, exzessiver Raucher, schwere Verkalkung der Arterien. Als ich den Katheter in die Leistenbeuge einbrachte, knirschte es, als würde ich eine Rigipswand durchbohren. Wenn er nicht augenblicklich aufhört zu rauchen, hat er nicht mehr lange zu leben.«
    Auf der kardiologischen Intensivstation lag Hans-Friedrich angeschlossen an die üblichen Kabel und Schläuche in einer der Überwachungskabinen. Der Monitor piepste unregelmäßig vor sich hin und zeigte gelblich fluoreszierende Linien. Ich berührte ihn an der Schulter. Er öffnete die Augen und schaute mich erschöpft an. »Wo bleibst du denn, Kumpel, immer wenn man dich braucht, bist du nicht da«, sagte er mit schwacher Stimme.
    »Du warst ja in guten Händen. Du hattest einen Herzinfarkt. Für Achtundvierzig ist das ein bisschen früh. Aber du hast alles gut überstanden, jetzt musst du noch in einer Rehabilitationsklinik wiederhergestellt werden. Dann wollen wir mal sehen, wie gut es dir bald wieder gehen wird.«
    Seine rechte Hand lag blass und wie ein feuchter Fisch auf dem Bett. Ich ergriff sie und drückte sie lange.
    Hans-Friedrich verbrachte nach seinem Herzinfarkt vier Wochen in einem süddeutschen Rehabilitationszentrum. Dort trieb er regelmäßig Sport, wurde gesund ernährt und nahm an mehreren Kursen zu einer gesunden Lebensführung teil. Gut erholt und mindestens fünf Jahre jünger wirkend, saß er mir kurze Zeit später in meinem Untersuchungszimmer gegenüber.
    »Alles gut überstanden, den Infarkt und auch die Reha. Ich wiege 10 kg weniger, treibe jeden Tag Sport und …«, er schaute mich listig an, »ich rauche nicht mehr!«
    »Herzlichen Glückwunsch! Dass du das geschafft hast, ist enorm.«
    »Weißt du, alle wollen mir einreden, dass der Infarkt vom Rauchen gekommen ist, eigentlich glaube ich das gar nicht. Ich habe trotzdem vorsorglich aufgehört. Aber der wahre Grund war, dass ich eben zu viel gearbeitet habe, Stress, verstehst du? Und dann zu gut gegessen. Ich habe fast jede Woche Shrimps und Krustentiere in mich reingeschaufelt. Das ist pures Gift, das erhöht das Cholesterin. Das war die wahre Ursache, nicht das bisschen Rauchen. Helmut Schmidt raucht ja auch eine Zigarette nach der anderen.«
    »Ich glaube, du nimmst das mit den Zigaretten zu leicht. Wenn du wirklich eine Zeit lang geschafft hast, nicht zu rauchen, dann bleibe auch dabei.« Ich ergriff seinen Oberarm und rüttelte ihn. »Das rettet dein Leben, begreife das!«
    Im Folgenden tauchten die Elmskötters wie gewohnt auf Partys und Vernissagen auf, folgten Einladungen zu Essen und richteten welche aus. Bei allen diesen Gelegenheiten strotzte Hans-Friedrich vor Gesundheit und Selbstvertrauen und hielt lange Vorträge über gesunde Ernährung und seine Methode, mit dem Rauchen aufzuhören. Vor allem hörte man immer wieder die Shrimps-Story, wie gefährlich diese kleinen Meerestiere seien und dass diese für seinen Herzinfarkt die alleinige Verantwortung trügen.
    Einige Wochen später suchte ich seine Kanzlei auf. Ich wollte seine Meinung zu einem Strafzettel wegen zu schnellen Fahrens hören. Schon beim Betreten der Kanzlei bemerkte ich, dass heftige Nikotinschwaden durch alle Räume zogen. Ich wusste, dass Hans-Friedrich einen älteren Büroleiter hatte, Herrn Müller, der ein starker Raucher war.
    »Herrn Müller ist es wohl noch nicht gelungen, mit dem Rauchen aufzuhören«, fragte ich die junge Frau am Empfang.
    »Nein, er kann es nicht lassen.«
    »Weißt du, auch wenn ich jetzt Nichtraucher bin, möchte ich doch nicht ein absolutes Rauchverbot in meiner Kanzlei durchsetzen.« Hans-Friedrich lehnte sich in seinem Sessel zurück, schnüffelte in die Luft und sagte: »Wenn ich diesen wunderbaren Duft so inhaliere, könnte ich allerdings schon schwach werden.« Er zwinkerte mir zu: »War nur ein Scherz, ich bleibe solide.«
    Es folgte eine Phase, in der er ab und zu eine Zigarette rauchte. Schon wenig später ging er wie gehabt beim Essen mehrmals vor die Tür, um, wie er sich in der Verniedlichungsform ausdrückte: »Ein Zigarettchen zu rauchen.« Alles war wie vor dem Herzinfarkt. Hans-Friedrich war wieder zum Kettenraucher geworden und reagierte sehr unwirsch, wenn man ihn auf diesen

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