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Wahn

Wahn

Titel: Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christof Kessler
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Richtung Supermarkt und Bäcker. Ihr zukünftiger Ehemann war weit und breit nicht zu sehen. Weder lag er gerade wiederbelebt auf dem Boden des Marktes, noch stand er im Imbissbereich und hatte sich mit Seglerfreunden verquatscht.
    »Haben Sie meinen Mann gesehen, Herrn Michael Bornmeister, er kommt doch manchmal hierher Brötchen kaufen, so ein großer schlanker Mann mit hohem Haaransatz.« Der Bäckergeselle hinter der Verkaufstheke schaute mit wasserblauen Augen durch sie hindurch. Er hatte einen viel zu kleinen Kopf für seinen mächtig aufgetriebenen Körper. »Solche waren heute Morgen da, circa zwanzig Stück, sag ich mal. So sehen sie fast alle aus hier, die Touristen, sie sind alle groß und haben eine Glatze.«
    »Mein Michael ist aber etwas Besonderes«, entrüstete sich Gudrun.
    »Nee. So einen Michael hatten wir heute nicht, da müssen Sie später vorbeikommen, vielleicht ist er dann bei.«
    Intensiv um sich schauend ging Gudrun die Hauptstraße von Vitte entlang, in Richtung auf das Rathaus. Dort sah sie Otto und Rosi mit ihren Elektrofahrrädern angebraust kommen. Otto hatte einen blauen Anzug mit Weste und rotem Schlips angezogen, ausgeliehen von seinem Schwiegersohn, der Rechtsanwalt in Stralsund war. Rosi hatte ein kleines Schwarzes an, wobei ihr beachtlicher Busen auf das Engste zusammengeschnürt war.
    »Hallo, wo ist der Bräutigam?«, fragte Otto gut gelaunt, als sie ihre Räder abgebremst hatten. Gudrun erzählte verzweifelt die Geschichte ihres abhandengekommenen zukünftigen Ehemanns, der loszog, um Brötchen zu holen, und bis jetzt nicht zurückgekehrt war.
    »Da muss etwas passiert sein«, sagte Otto, »ich weiß genau, wie sehr Michael sich auf eure Hochzeit gefreut hat.«
    Sie schwärmten aus, um den Bräutigam zu suchen, dann verständigten sie die Standesbeamtin, die zwischenzeitlich bereits damit begonnen hatte, das nächste Paar zu trauen. Später verständigten sie die Polizei und meldeten Michael als vermisst.
    Als ich am frühen Nachmittag desselben Tages über die Station ging, sah ich vor dem Untersuchungszimmer unserer Notaufnahme einen Polizisten sitzen. Er hatte bereits das moderne, schwarze Blouson mit der breitrandigen Schirmmütze an, so dass er wie der Cop aus einer amerikanischen Fernsehserie aussah. Uniformierte Polizisten waren im Klinikum eine Seltenheit. Ab und zu konnte es vorkommen, dass ein Häftling aus der Justizvollzugsanstalt begleitet wurde, wenn neurologische Probleme, z.B. epileptische Anfälle oder ein Schlaganfall, aufgetreten waren. Da solche Fälle immer etwas heikel waren und das Sicherheitsbedürfnis der Beamten häufig im Gegensatz zu den ärztlichen Notwendigkeiten stand, wurde ich, als Klinikdirektor, in der Regel über solche Fälle informiert.
    Ich betrat an dem Zeitung lesenden Polizeibeamten vorbei das Ambulanzzimmer und sah unseren Oberarzt Dr. Adam bei der Untersuchung eines schlanken, gepflegt wirkenden, nicht mehr ganz jungen grauhaarigen Mannes.
    »Was gibt es?«, fragte ich.
    Dr. Adam steckte seinen Reflexhammer, mit dem er gerade die Beinreflexe des Patienten geprüft hatte, zurück in die Kitteltasche.
    »Das ist Herr Michael Bornmeister. Der Name ist bekannt, alles Weitere ist völlig unklar. Es hat den Anschein, als würde eine Amnesie bestehen, für wie lange, ist nicht bekannt. Der Patient kann praktisch nur zu seiner Person Auskunft geben, auf alle weiteren Fragen, zum Wohnsitz und was er während der letzten Stunden gemacht hat, weiß er keine Antwort.«
    Ich gab dem Patienten die Hand und nannte meinen Namen. Er schaute mich ratlos an: »Was ist denn passiert? Was ist los? Wie bin ich hierhergekommen? Ich will sofort nach Hause.«
    »Wo sind Sie denn zu Hause?«, fragte ich.
    Er dachte nach: »Verflixt noch mal, ich weiß es nicht, ich habe keine Ahnung, was ist denn los? Wie bin ich hierhergekommen? Ich kann mich an gar nichts erinnern.«
    Ich schaute den Oberarzt an: »Was macht der Polizist vor der Tür?«
    »Das ist eine mysteriöse Geschichte. Der Patient wurde als Beifahrer eines Audi A8 bei einer Routinekontrolle der Polizei kurz vor Stralsund, festgenommen. Das Fahrzeug ist in Binz auf Rügen gestohlen worden. Laut Polizei besteht der dringende Verdacht darauf, dass Herr Bornmeister Mitglied einer Autoschieberbande ist.«
    »Ja, Bornmeister, genau, Bornmeister heiße ich, ich komme nicht von hier, ich mache nur Urlaub. Bornmeister ist mein Name, wie bin ich denn hierhergekommen, was war denn los in den letzten

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