Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
glaubten sie, der einstige Hoffnungsträger säße schon sicher in ihrer Falle: All seine Initiativen bremsten die Republikaner um John Boehner aus, den neuen Chef des Repräsentantenhauses, zuversichtlich, dass für die Folgen allein Obama büßen würde. Warum sollten sie ihn stützen, wo doch ihr erstes Ziel stets war, ihm eine zweite Amtszeit zu verbauen? Wo immer er ihnen entgegenkam, erhielt er kaum etwas zurück. Stattdessen verlor er im eigenen Lager immer mehr an Rückhalt.
»Der Weltenretter schon am Ende?«, fragten die Deutschen uns Korrespondenten da, wenn sie es nicht selbst bereits zu wissen glaubten – oder ohnehin schon immer wussten.
Obama als Opfer seiner eigenen Maßstäbe, die er vor seiner Wahl setzte? Oder musste er, trotz allen Talents, einfach an historischen Sachzwängen scheitern, die der Supermacht lange schon zusetzten, nun aber ihren Preis verlangten?
Andererseits, wer sollte ihn strahlend ablösen? Das Bewerberfeld der Opposition für das Präsidentenamt blamierte sich schon in ersten TV-Debatten bis auf die Knochen, sodass sich selbst Stammwähler und Großspender kopfschüttelnd abwendeten. Kandidaten wussten kaum, wo Libyen liegt, oder drohten die US-Botschaft im Iran zu schließen, die es seit 30 Jahren nicht mehr gibt.
Wohin will die Weltmacht?
Doch reicht das dem Amtsinhaber, um noch einmal Amerikas politische Mitte zu begeistern, die schon immer jede Wahl entschieden hat, aber nun mehr zaudert denn je? Kaum einer weiß noch, was diese Mitte möchte. Will sie nach der verheerenden Finanzkrise, in der die Steuerzahler das Bankensystem retten mussten, nun die Regierung stärken oder lieber ihren Einfluss mäßigen?
Im Machtvakuum zwischen dem Präsidenten und den sperrigen Kongresskammern haben Neu-Parlamentarier Einfluss gewonnen, die offenbar nicht davor zurückschrecken, das Land ganz lahmzulegen: populistische Staats- und Steuergegner, Klimawandel- und Evolutions-Verleugner, außenpolitische Isolationisten, ultrareligiöse Radikale – denen keiner der Altvorderen wirksam entgegentritt. Zu groß ist die Sorge, er könnte im Wahlkreis zu Hause deren nächstes Opfer werden.
Wohin also taumelt die Weltmacht, mit oder ohne Obama? Viele Amerikaner, auf die ich täglich treffe – als Berichterstatter, Kollege, Nachbar, Vater von Schulkindern oder Reisender –, machen kein Geheimnis mehr daraus, dass sie selber ratlos sind.
»Was ist mit diesem Land passiert, das ich zu kennen glaubte?«, fragt NBC-Urgestein Tom Brokaw, einer der renommiertesten Reporter Amerikas, der bisher nie verlegen war, seinem Publikum Zusammenhänge zu erklären. »Sind wir nur kurz vom Weg abgekommen oder sind wir so gespalten, dass wir uns schon fast von jedem Richtung Abgrund treiben lassen?«
Als der Sommer ausbricht, verabschieden sich die Umfrageinstitute von ihrer Erwartung, dass der Zustand der US-Wirtschaft den Wahlausgang vorherbestimme. Zwar schreibe man Wachstum, aber nur zögerlich. Monatlich entstünden neue Jobs, aber eben nicht überzeugend viele. Manche Blätter wie USA TODAY berichten von steigender Zuversicht im Lande. Andere verweisen auf anhaltende Skepsis. Tatsächlich sind da über 70 Prozent der Bürger mit der Lage unzufrieden. Zugleich aber geben 60 Prozent an, sie rechneten mit einer Besserung. Als ABC und Washington Post ermitteln, von wem die Wähler die erfolgreichere Wirtschaftspolitik erwarten, erreichen beide Kandidaten exakt den gleichen Wert: jeweils 47 Prozent. Beste Voraussetzungen für einen erbitterten Wahlkampf.
Wie sehr Amerika seine Zweiteilung zelebriert, fällt mir schon auf, als ich nach meiner Ankunft das Radio einschalte. Um ihre Diskussionsrunde zu beleben, in der in akkurater Folge linke und rechte Experten um die beste Weltsicht streiten, gibt die Moderatorin das Mikrofon für Hörermeinungen frei – bittet aber nun auch sie, wie gewohnt entweder über die »demokratische« oder die »republikanische« Leitung anzurufen. Wie soll einer da versöhnen, wenn die Spaltung immer schon vorab feststeht? Wie soll einer Dinge richten, wenn der Richtungsstreit nie endet?
Dabei waren wir gewohnt, dass gerade Amerika der Welt die Richtung vorgab. Deshalb werden zugleich Rufe von außen lauter, Obama möge sein Riesenreich endlich auf Kurs bringen. Mal hoffend, weil er tatsächlich diese Erwartung geweckt hatte. Mal hämisch, als habe er der Welt versprochen, übers Wasser zu laufen. Dabei ist der angeblich mächtigste Mann der Welt im täglichen
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