Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
erst, wenn Texas eine Firma hingerichtet hat.«
Wer prägt wen mehr?
Die Neigung nicht nur konservativer Amerikaner, stets den »American Exceptionalism« für sich zu reklamieren, also ihr Land quasi per Definition als das weltbeste zu betrachten, macht sie für derlei Sprachkosmetik nicht eben aufmerksamer. Man mag sich streiten, wie alternde Industriegesellschaften künftig am besten ihre Renten- und Gesundheitskosten stemmen sollen. Die Selbstverständlichkeit aber, mit der Amerikas Konservative noch immer gebetsmühlenartig ein Gesundheitssystem rühmen, das Millionen von Landsleuten den Zugang zu Krankenschutz verwehrt – und das die Weltgesundheitsorganisation als das schlechteste unter den Industrieländern ansieht –, ließ mich immer wieder staunen.
Im Selbstbild vieler Amerikaner ist für derlei Mängel offenbar wenig Platz, zumal wenn sie von Kindesbeinen an mit den üblichen Superlativen aufwachsen. Kein Lokalpolitiker, der nach gelöschtem Buschbrand seine Feuerwehr nicht als die tapferste der Welt lobt. Kein Präsident, der Amerikas Arbeiter nicht als die produktivsten des Planeten preist und seine Soldaten als die mutigsten. Kein Wahlkämpfer, dessen Wähler nicht die besten unter allen sind. Kein Schlusssatz ohne die Patriotenformel: »Gott schütze Amerika!«
So sehr ich nach den Anschlägen vom 11. September 2001 den Wunsch der Amerikaner verstand, dass Gott ihr Land behüten möge – gelegentlich hatte ich hier den Eindruck, manche verbanden mit der Formel Exklusivität. Der Politologe Manfred Henningsen, der an der Universität von Hawaii lehrt, geht so weit, das Gehabe um die »Auserwähltheit Amerikas« auf den stillen Wunsch zurückzuführen, mit diesem Mythos die moralischen Verfehlungen zu kompensieren, die mit der Gründung und dem Aufstieg der USA einhergingen: den Völkermord an den Indianern und die Sklaverei.
Als Barack Obama als erster Afroamerikaner ins Weiße Haus einzog, stellten sich viele die Frage, ob er das Präsidentenamt verändern würde – oder eher das Amt ihn. Heute scheint mir, es ist beides geschehen. Amerikas Außenpolitik ist weltoffener, bündnisfreundlicher und diplomatischer geworden, aber mit den Einsätzen von Geheimdienst- und Elitekommandos auch härter und zwielichtiger, als es zu einem Politiker passt, der für die Menschenrechte wirbt. Und selbst das kriegsmüde Amerika könnte sich in den Spannungsfeldern um Iran und Syrien in neue Militäreinsätze gedrängt sehen, die es eigentlich vermeiden wollte.
Sein Versuch, Amerikas Innenpolitik zu befrieden, ist ihm erkennbar nicht geglückt, sondern gescheitert. Und wenig spricht dagegen, dass die Republikaner den finalen Wahlkampf gegen ihn weit negativer und schmutziger gestalten als zuletzt – zumal ihr interner Vorwahlkampf gezeigt hat, wie unmittelbar sich aggressive Anzeigen und TV-Spots auf Umfragen auswirken. Um in einer zweiten Amtszeit seine Politik fortsetzen zu können, muss Obama dem standhalten. Dass er es kann, hat er damals bewiesen. Zudem ist auch seine Wahlkampfkasse voll. Bereits ein Jahr vor dem Wahltag hatten ihm Landsleute fast 100 Millionen Dollar Wahlkampfhilfe überwiesen, wie zuletzt vor allem als Kleinspenden – mehr als all seinen Herausforderern zusammen. Eine Lücke, die konservative Geldgeber jedoch bald schließen.
Man mag sich kaum ausmalen, was alles mit diesen Summen machbar wäre, würden sie in die Realität gesteckt und nicht in ihre Deutung. Der republikanische Wortführer Mitch McConnell spricht sich – gegen den Rat erfahrener Parteifreunde – derweil weiter dafür aus, auf eigene Programminhalte zu verzichten und die Wahl ganz zur Volksabstimmung über »Obamas Bilanz« zu erklären.
Was wie ein kluger Schachzug klingen soll, könnte allerdings nach Jahren der Politikverweigerung der Konservativen vielen auch als blanke Not erscheinen. Denn sie haben die Oppositionszeit bis dahin weder zu einer Modernisierung ihrer Inhalte genutzt noch dazu, Lehren aus der Jahrhundert-Finanzkrise zu ziehen. Stattdessen reduziert sogar ihr Vordenker McConnell die Strategie allein darauf, von Anfang an gegen Obamas Wiederwahl zu wettern. Gut möglich, dass das der Mehrheit der Amerikaner als Antwort auf die Probleme ihres Landes zu wenig ist.
Je knapper der Wettlauf zwischen Amtsinhaber Obama und Herausforderer Romney auf der Zielgeraden zu werden droht, desto mehr dürfte das strategische Geschick der Kontrahenten und ihrer Kampagnen-Manager über den Wahlsieg
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