Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
in Telefonaten mit der Heimat, privat wie beruflich, lautete zuletzt: »Was ist denn mit denen los? Knallen die jetzt völlig durch?«
Da wählten sie mit historischer Mehrheit einen schwungvollen, jungen Präsidenten, um den sie die ganze Welt beneidete. Aber sobald er zu regieren anfing, beschimpften sie ihn als Kommunisten und Ersatz-Hitler, warfen ihm vor, er sei nicht einmal Amerikaner, und wünschten ihn zum Teufel.
Ausgerechnet er, der mit so viel Rückhalt angetreten war, um das übliche Washingtoner »Game Playing«, wie er sagte, nicht etwa besser zu spielen, sondern es durch kluge, nachvollziehbare Innen- und Außenpolitik zu ersetzen, könnte schon nach vier Jahren dessen Opfer werden – auch weil die offenen Hasskampagnen der Unterlegenen bald überhaupt keine Spielregeln mehr kannten.
Dabei hatte Obama vom ersten Tag an eine Problemliste auf dem Tisch, die selbst Politprofis bis heute den Schweiß auf die Stirn treibt: die Wirtschaft im freien Fall, die Wall Street vor der Pleite, ebenso die Auto-Giganten in Detroit, die Arbeitslosenzahlen auf Rekordkurs. Sieglose Kriege, Gesundheitsmisere, Folter- und Vertuschungsskandale, die Schande Guantanamos. Wer hätte mit Obama tauschen wollen?
Zu links, zu rechts, zu mittig
Dass ihm erfahrene Washington-Kenner wie Politikveteran Stephen Hess von der Brookings Institution bescheinigten, er gehe die Dinge nicht nur in schwindelerregendem Tempo, sondern auch erfolgreicher an als nahezu alle seiner Vorgänger, half ihm nichts. Er wurde gallig kritisiert, wofür auch immer: Dass er zu viel versprochen habe. Dass er das Land zu wenig führe oder zu sehr. Dass er zu links sei, zu rechts oder zu unentschlossen in der Mitte. Zu wenig versöhnend oder zu wenig kämpferisch. Zu abgehoben, zu klug und zugleich leider nicht klug genug. Die Opposition, auf die zuzugehen er versprochen hatte, radikalisierte sich derweil – und verständigte sich darauf, im Volk »möglichst viele negative Emotionen« gegen ihn zu wecken. Drei Jahre sollte er benötigen, um sich darauf einzustellen.
Den Kollegen von den US-Nachrichtenkanälen war das immer recht: Statt die Kritiker auf Substanz abzuklopfen, konnten sie den täglichen Showdown zwischen Obama und seinen Rivalen weiter zelebrieren, als hätte der Wahlkampf von 2008 nie aufgehört. Selbst offenkundig durchgeknallte Zeitgenossen hievten sie auf Augenhöhe Washingtons: einen Pastor aus Florida, der ankündigte, Korane zu verbrennen; Tea-Party-Schreihälse, die sich zum Hexenkult bekannten oder die Berliner Mauer priesen; das jeweils unvermeidliche Twitter-Zitat von Sarah Palin; Präsidentschaftsanwärter, die – nur halb im Scherz – von Erdbeben und Hurrikans als Fingerzeig Gottes gegen eine falsche Regierung sprachen. Selbst das ging noch als »Denkzettel für Obama« durch. Sind sie zu stark, ist er zu schwach.
Und nun? Als das Wahljahr 2012 ausbricht, entdecken sie ihn plötzlich neu, sehen in Umfragen seine Sympathiewerte wieder nach oben klettern, fast als wäre nichts gewesen. Obama ist zurück, er schafft es wieder, wir haben es ja immer gewusst?
»Ja, was denn nun«, fragen die Deutschen erneut uns Korrespondenten, »wissen die Amerikaner denn noch, was sie wollen?«
Nein, viele wissen es nicht. Nicht was – denn die Gebrauchsanleitung für den amerikanischen Traum taugt seit der Immobilienkrise nicht mehr viel. Und nicht wen – denn wer alle zwei Jahre die Machtverhältnisse in Washington derart auf den Kopf stellt, weil er auf Wandel hofft, dem ist mit Wahlen womöglich nicht zu helfen.
Vieles spricht dafür, dass die Probleme sogar noch tiefer liegen, als es die Amerikaner wahrhaben wollen – auch wenn die Krise manchen schon überwunden scheint. Tatsächlich ist der Industrie- und Gewerbesektor veraltet, die Infrastruktur brüchig. Bisherige Konjunkturprogramme verhinderten zwar Schlimmeres, doch neue schlägt der Präsident gar nicht mehr vor, aus Sorge um das Haushaltsdefizit. Was wächst, ist die dunkle Ahnung, dass schon die letzten Aufschwünge nicht echt, sondern geborgt waren: finanziert durch Luftbuchungen auf Hypotheken – und geduldige Kreditkarten.
»Wenn Obama Erfolg hat, wird er wiedergewählt. Wenn nicht, nicht«, prophezeite uns der konservative Kolumnist George Will, als Obama zu straucheln begann. Doch wer drückt aus einer Krise heraus schon mal zugleich sowohl die Staatsschulden als auch die Arbeitslosigkeit nach unten, wie es seine Gegner clever von ihm forderten?
Bald
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