Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
pakistanischen Armee unerkannt nähern sich die Tarnkappen-Helikopter, von denen die Welt bis dahin noch nicht einmal ein Foto sah, dessen Versteck, einem von Mauern umgebenen Wohnhaus nahe einer Militärakademie im Inneren des Landes. Die ganze Nacht hindurch verfolgen Obama und sein engster Krisenstab per Funk- und Videoverbindung im Lagezentrum des Weißen Hauses die Kommandoaktion, von der nur wenige wissen und die er allein verantwortet.
»Die Minuten vergingen wie Tage«, berichtet Obamas Antiterrorchef John Brennan später. »Der Präsident hat sich größte Sorgen um unsere Männer gemacht.«
Nur zu 45 Prozent sei er sicher gewesen, dass sich bin Laden tatsächlich in seinem Versteck aufhalten würde, räumt Obama danach ein. Wäre es ein Fehlschlag geworden, er hätte nicht nur Pakistans Regierung gegen sich aufgebracht, sondern sich auch vor der Opposition, wenn nicht vor der gesamten Welt, als tollkühner Haudrauf blamiert.
So aber verkündet er in einer kurzfristig festgesetzten Fernsehansprache, dass Amerikas Erzfeind nicht mehr am Leben ist. »Die Vereinigten Staaten haben unter meiner Führung eine Operation gegen bin Ladens Anwesen in Pakistan durchgeführt«, sagt er. »Es war ein mutiger und kenntnisreicher Einsatz einer kleinen Spezialeinheit.« Keine Siegerpose, kein Triumphgehabe, dass er endlich erreicht hat, wonach George W. Bush so sehr gestrebt hatte. Obama weiß, dass ihm der Schlag viel Sympathie einbringen wird, auch bei seinen Gegnern. Er darf ihnen nun keinen Grund geben, ihm die fälligen Gratulationen zu verweigern. Tatsächlich kommt sogar Dick Cheney um anerkennende Worte nicht herum.
Auch Condoleezza Rice, die frühere Außenministerin, beglückwünscht Obama ausdrücklich. Zudem rehabilitiert sie die Geheimdienste, die wegen Guantanamo und Abu Ghraib zuletzt so viel Kritik hätten einstecken müssen. Der Einsatz habe gezeigt, wie gut sie wirklich seien.
Als die Nachricht spätabends bekannt wird, strömen Tausende zur spontanen Jubelparty vor das Weiße Haus, während die ersten Bilder von bin Ladens brennendem Versteck um die Welt gehen. Ein Kurier des al-Qaida-Chefs habe den US-Geheimdienst auf die Spur gebracht, heißt es. Nur 40 Minuten habe die Aktion gedauert. Unklar bleibt zunächst, ob Pakistans Präsident eingeweiht war.
»Ich habe immer wieder klargemacht«, rechtfertigt Obama das Eindringen in souveränes Staatsgebiet, »dass wir einschreiten würden, sobald wir wüssten, dass und wo sich bin Laden in Pakistan aufhält. Genau das haben wir nun getan.« Es sei aber wichtig zu wissen, dass die Zusammenarbeit beider Geheimdienste zu dem Versteck geführt habe, schiebt er nach. Eine Nebelkerze, die Pakistan die Kritik erschweren soll. Denn die Regierung in Islamabad war tatsächlich erst von Obama informiert worden, als alle US-Soldaten samt bin Ladens Leichnam Pakistans Luftraum wieder verlassen hatten.
Die erste Panne, die bekannt wird, war die Havarie eines der Hubschrauber bei der Landung. Doch selbst darauf waren die Planer vorbereitet. Eine Ersatzmaschine folgte prompt. Die Elitesoldaten hatten alle Unwägbarkeiten geprobt. Den beschädigten Hubschrauber brachten sie zur Explosion, damit die Geheimwaffe auch künftig eine solche bleibe – auch wenn die Trümmerteile von Pakistans Geheimdienst, wenn nicht gar von weiteren, bald eifrig untersucht wurden.
Kein Foto des Grauens
Andere Pannen beginnen erst danach. Bin Laden sei nach intensivem Feuergefecht erschossen worden, verplappern sich Teilnehmer der Krisenrunde. Am Ende habe er sich gar, wenig heldenhaft, hinter einer seiner drei Ehefrauen verschanzt. Später heißt es, die tödlichen Schüsse seien gefallen, als er sich der Festnahme widersetzt habe. Doch bald wird klar, dass bin Laden unbewaffnet war und nur zu Beginn des Angriffs ein Wachposten auf die US-Soldaten feuerte. Doch die Frage, ob die Einheit bin Laden auch hätte festnehmen können, statt ihn zu erschießen, kommt eher in Europa auf. In Amerika geht sie im Jubel über den Tod des Terrorführers unter.
Befreundete Regierungen bis hin zur Bundeskanzlerin zeigen sich ebenfalls erleichtert. Denn mit bin Ladens Tod wächst plötzlich auch ihre Hoffnung, mit dem Verweis auf ein erreichtes Kriegsziel die Truppen nun bald abziehen zu können.
Kritisiert wird Obama eher dafür, dass er kein Foto des Getöteten veröffentlicht. Stimmen werden laut, die nach Beweisen rufen und Zweifel streuen an den Angaben des Pentagon. Dabei verweist das
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