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Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)

Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)

Titel: Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Scherer
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Hurra-Patriotinnen. Keine, die stolz Orden vorzeigen würden. Nichts konnte ihnen über den Verlust hinweghelfen. Die Kriege veränderten ihr Leben.
    Ja, auch sie seien stolz auf ihre Söhne, sind sie sich einig. Sie hätten Mut bewiesen und ihr Land verteidigt. Und damit auch solche Familien, die keine Söhne ziehen ließen. Doch die Trauer bleibe lebendig, so wie am ersten Tag. Zu Hause sei das längst ihr Problem, denn niemand wolle mehr davon hören. Deshalb setzten sie dort nun freundliche Mienen auf. Sonst würden sie nicht mehr eingeladen, zu Geburtstagen oder zu Erntedank. Nur hier, hier auf dem Friedhof, sei es anders.
    »Hier müssen wir uns nicht verstellen«, sagt Paula. »Wir können lachen und weinen. Und wenn du weinst, dann weinen die anderen mit dir, weil sie wissen, wie es in dir aussieht.«
    »Wir müssen wieder Wege finden, um Kriege zu vermeiden«, meint Beth. »Ich hoffe, dass das Obama bald gelingt.« Sie vertraue ihm. Er handle verantwortungsvoll, nach allem, was sie gesehen und gelesen habe.
    Ob sie manchmal fürchten, ihre Söhne könnten umsonst gefallen sein, frage ich. Das wollen sie nicht glauben, selbst wenn sie wünschten, die Jungs wären bei ihnen geblieben.
    »Aber wer hätte sie halten sollen?«, fragt Paula zurück. »Wenn andere sagen, sie würden ihr Kind bestimmt nicht gehen lassen, könnte ich schreien. Sie werden 18 und wollen gehen. Wie sollte man sie umstimmen?«
    Xiomara hatte es versucht. Wenn sie nicht wolle, dass er Soldat werde, habe Andy erwidert, dann hätte sie ein Mädchen kriegen sollen. »Wann immer nun jemand an der Haustür klopft oder das Telefon klingelt, rechne ich mit der nächsten schlechten Nachricht«, sagt sie, als wir Richtung Ausgang gehen. Sie mit Schirm, Tasche und Klappstuhl, wir mit Kamera, Stativ und Tonequipment. »Einer Nachricht aus Afghanistan«, sagt sie leise, »über meine Zwillinge.«
    Von Rot, Blau und Blinden
     
    Doch auch wer überlebt, hat den Krieg nicht hinter sich. Im zehnten Jahr des Afghanistan-Dramas ist die Zahl der US-Soldaten, die Selbstmord begehen, fast so hoch wie die der Gefallenen. »Im Krieg bist du hilflos«, sagt mir David Harlan, dem ich auf dem Balkon seines Elternhauses gegenübersitze. Vom Tal her zieht warmer Sommerwind herauf. Die frische Seeluft der Strände von Los Angeles schafft es nicht bis hierher, ins trockene Hinterland der Riesenstadt. »Die Einzigen, die du hast, sind deine Kameraden. Wenn die dir nicht helfen, ist es vorbei«, denkt er an seine Einheit im Irak zurück. Eine quälende Erinnerung.
    »Wir hatten einen jungen Kameraden, der von allen gehänselt wurde. Am Ende hat er sich deshalb erschossen«, sagt er regungslos. »Jeder denkt dort, dass er sowieso sterben wird, mir ging das auch so. Vielleicht wollte er es ja nur selbst erledigen.«
    In den Redepausen hört man Charly hecheln, seinen durstigen Hund, der ihm zu Füßen sitzt. Als David aus dem Krieg heimkehrte und bei seiner Mutter einzog, hat sie ihm den Hund besorgt. Zuvor hatte sie von der Organisation »Pets for Vets« gelesen, die Veteranen Haustiere vermittelt. So hat David Charly vorm Tod im Tierasyl bewahrt und Charly den Heimkehrer vorm Selbstmord.
    »Mich quälen Albträume und Depressionen, ich bin ein anderer Mensch als vorher«, beschreibt er, was Ärzte sein Kriegstrauma nennen. »Ich fühle mich, als passte ich nicht mehr hierher.«
    Was er träume, frage ich.
    »Dass ich angegriffen werde und mich nicht wehren kann. Es ist, als würdest du gegen eine fremde Masse kämpfen, die dir keine Chance lässt. Du kannst nicht einmal weglaufen, denn es geht gar nichts mehr.«
    Dabei klagt er nicht über den Krieg als solchen. Sein Pick-up-Truck ist dicht beklebt mit Stickern seiner Einheit, auf seinen Unterarm ließ er sich ein Schwert tätowieren. Nie würde er sich den »Veteranen gegen den Krieg« anschließen. Ein Foto, das er hervorkramt, hielt ihn in staubiger Uniform fest, als er aus der Luke eines Truppentransporters blickt. So kam er an. Noch war er drinnen, doch draußen wartete bereits das Sterben.
    »Du steigst irgendwann durch dieses Loch und weißt kaum, wo du bist. Du verlierst Freunde, die neben dir verbluten. Du bist einsam und hast Angst wie ein Kind, wartest nur noch, bis es auch dich zerreißt«, erklärt er mir. »Das bringst du mit nach Hause.«
    In keinem Restaurant könne er mit dem Rücken zur Tür sitzen. In engen Räumen fürchte er sich. Orte mit vielen Menschen machten ihn aggressiv. »Dann möchte ich

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