Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
dabei sein Limit von 35 000 zusätzlichen Soldaten gegen den Pentagon-Block aufrechterhalten muss. Woche um Woche, Vorlage um Vorlage reizt Obama die Geduld der Öffentlichkeit aus, bis die Generäle ihm seine Wunschzahl auch als ihren eigenen Kompromiss anbieten. Die Chronik der Gespräche erinnert an das Kräftemessen zwischen den Falken in Verteidigungsministerium und Generalstab und den Tauben um den jungen Präsidenten John F. Kennedy während der Kubakrise.
Was Obama als Kriegsherr, Präsident und Dauerwahlkämpfer nun lösen muss, ist ähnlich dramatisch: Er muss die US-Truppen wie versprochen aus dem Irak zurückholen, ohne dort Chaos zu hinterlassen, und den Afghanistan-Krieg bald in ein Stadium führen, das sich als hinreichender Erfolg beschreiben lässt, um auch diesen zeitnah zu beenden. Und das trotz zögerlicher NATO-Partner, einer korrupten Karzai-Regierung in Kabul, zu der es keine Alternative gibt, und einem Kriegsgegner, der bekanntermaßen eher vom Nachbarland Pakistan aus agiert: al-Qaida. In Pakistan aber ist Obama noch mehr auf eine Regierung angewiesen, die zwar als befreundet gilt, deren Geheimdienst aber ein höchst schillerndes Eigenleben führt.
Mitten in den wochenlangen Streit um Truppenstärken, Zeitpläne und Abzugsfristen platzt plötzlich die Eilmeldung aus Oslo herein: Obama erhält den Friedensnobelpreis.
Von den Konservativen wird die Entscheidung eher mit Hohn quittiert. Lob aus Europa ist für sie immer verdächtig. Allein Senator John McCain spricht ohne Unterton von einer Ehre für das Land. Doch auch manche Liberale schütteln die Köpfe, dass der Friedenspreis ausgerechnet an einen kriegführenden Präsident fällt, und verlangen nun umso mehr, dass er sich den Preis verdienen müsse. In der deutschen Presse überwiegt Kritik an einer Fehlentscheidung. Es sei zu früh, Reden seien keine Taten. Oslo habe die gute Tradition verlassen, seinen Preis für eine Lebensleistung zu vergeben. Derweil rechtfertigt sich das Komitee, Obamas Bruch mit der unilateralen Außenpolitik des Vorgängers habe die Weltlage verändert. Die neue Offenheit für Diplomatie, der bekundete Respekt gegenüber der moslemischen Welt seien eben nicht nur Reden gewesen, sondern verdienstvolle, erkennbare Entspannungspolitik.
Als Obama den Preis entgegennimmt, verfolge ich die Übertragung seiner Rede. Die meisten erwarten eine Festansprache, die Widersprüche meidet und sich stattdessen schöner Theorie hingibt. Hier der Preis, die Friedenssehnsucht, dort der Krieg. Doch der Gast aus Washington umkurvt seine Kritiker nicht.
Er räumt offen ein, dass er den Nobelpreis weniger verdiene als etwa Nelson Mandela oder Martin Luther King, dass er in zwei Kriegen stecke und den Oberbefehl über Soldaten habe. »Einige von ihnen werden töten, und einige von ihnen werden getötet werden«, sagt er.
Den Irak-Krieg wolle er beenden, den Krieg in Afghanistan habe Amerika »nie gesucht«. Wann ein Krieg gerecht sei, fragt er sich und das Publikum. Als letztes Mittel der Selbstverteidigung, wenn Gewalt verhältnismäßig sei und der Schutz von Zivilisten gewährleistet? Dies habe die Staatengemeinschaft nach grausamen Weltkriegen als Moralstandard entwickelt. Er könne keine Lösung bieten, die Kriege abschaffen werde. Vermutlich werde es immer Kriege geben, auch wenn die Gewaltgegner King und Gandhi keine schwachen Vorbilder gewesen sein, sondern starke. »Aber als Staatschef habe ich einen Amtseid geleistet, mein Land zu schützen und zu verteidigen«, rechtfertigt er sich. »Das Böse existiert. Eine gewaltlose Bewegung hätte Hitlers Armeen nicht aufhalten können.«
Es sei kein Aufruf zu Zynismus, wenn er sage, dass Gewalt mitunter nötig sei. Es sei die Anerkennung der Geschichte, der Unvollkommenheit des Menschen und der Grenzen der Vernunft. Es sei richtig gewesen, Saddam Hussein aufzuhalten, als dieser in Kuweit einmarschiert sei. Und richtig, nach den Anschlägen vom 11. September in Afghanistan die Vorbereitung neuer Terrorakte zu verhindern. Den zweiten Irak-Krieg rechtfertigt Obama nicht. Vielmehr beteuert er, dass auch Amerika sich an Regeln halten müsse, die für alle gälten. Deshalb habe er Folter verboten. Man könne anerkennen, dass es Unterdrückung immer geben werde, und sich dennoch für Gerechtigkeit einsetzen. »Ohne Verklärung können wir verstehen, dass es immer Krieg geben wird«, schließt er, »und dennoch für den Frieden arbeiten.«
Selbst wenn die Rede zu Einwänden reizt –
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