Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
und Obama später noch einholen wird –, halten sie viele Beobachter für eine ungeschminkte, aufrichtige Bilanz, nicht nur eines Präsidenten, der versucht, richtig zu handeln, sondern einer ganzen Generation, die aus der Geschichte lernen wollte – und dennoch täglich fragen kann, was es konkret bedeutet.
Erneut fällt es mir am Abend zu, die Nachricht zu kommentieren. Gegen die Mehrheitsmeinung zu Hause begrüße ich die Preisvergabe. »Klar, er hätte sagen können: ›Ich nehme diesen Preis nicht an, weil ich ihn nicht verdiene, zumindest noch nicht‹«, gebe ich Kritikern recht. Nun trage das Nobelkomitee das Risiko, dass es leichtfertig Vorschüsse vergebe und nicht erst den Lohn für eine Lebensleistung. Die ungeschminkte Preisrede jedoch verdiene Respekt: »Da schickt Obama noch eben Zehntausende Soldaten in den Krieg und erklärt der Welt, dass sie nun mal so ist. Das muss sich einer trauen.«
Obama zeichne aus, dass er solche Widersprüche einräume. Schon als er offen zugegeben habe, dass auch er nicht wisse, was mit manchen der Guantanamo-Insassen nun zu tun sei, habe mich diese Offenheit verblüfft. Schon da habe kein Präsident gesprochen, sondern ein Moralist. Was er nun in der Nobelpreisrede dargelegt habe, seien ja nicht nur seine Widersprüche, sondern die der ganzen sogenannten Nachkriegszeit. »Jenseits von Mutter Teresa müssten viele ihren Preis zurückgeben, wenn Oslo erst Erfolgskontrollen einführte«, gebe ich zu bedenken. Und bitte all jene, die nun wieder reflexartig vor dem Schönredner Obama warnten, doch einmal in ihrem Musikschrank nachzusehen, ob da nicht zufällig noch die Weizsäcker-Rede stehe, die wir Deutschen einmal vor lauter Stolz auf Schallplatten gepresst hätten, weil sich da endlich mal ein Bundespräsident mit Welt und Wirklichkeit auseinandergesetzt hat, statt nur zu wandern oder Volkslieder zu singen.
Im Bann der Drohnen
Es ist dunkel über Afghanistan. Ein Dorf im Schlaf. Ein dumpfer Knall erschüttert ein Stück Mauer, auf das kurz der Lichtkegel der Angreifer fällt. Sie schützt die lehmfarbenen Flachhütten gewöhnlich vor Räuberbanden. Die Kamera folgt vorbeihuschenden Soldaten, während der Rauch sich legt. Nur die Umrisse von Helmen, Sturmgewehren und Stiefeln sind erkennbar. Am ersten Haus treten sie krachend die Tür ein. Wortfetzen zischen durch die Nacht, dann Babygeschrei. Panische Gesichter im Schein von Taschenlampen, weinende Frauen. Den Truppen wurde gesagt, das Dorf werde von Taliban gehalten. Sie sollten nach Kämpfern und Waffen suchen. Mit der Frage, wie sie das machen sollen, bleiben sie jede Nacht allein. Seit Jahren stochern sie sich so durch den Kriegsstaub, sprengen Mauer um Mauer auf und machen sich, so fürchten sie, damit nur noch mehr Feinde.
»Wir erfüllten unsere Mission nie, dort Terroristen festzunehmen«, klagt der Soldat Rick Reyes in einer Anhörung des US-Kongresses, »uns blieb bald nur, die gesamte Bevölkerung zu verdächtigen, egal ob unschuldig oder nicht. Wir haben Väter verhaftet und fast erschossen, die nur eine Kanne Milch zu ihren Kindern bringen wollten. Das passiert hundertfach. Jeden Tag.«
Als ich seine Aussagen in einem Hintergrundbericht über den Stand des Krieges zitiere, muss ich an die »Wintersoldaten« denken, die Ähnliches geschildert hatten. Von diesem Soldaten jedoch sind die Vorgesetzten besonders enttäuscht. Er hätte Karriere machen können, er kannte sich aus in Afghanistans Geschichte und Kultur, galt im Führungsstab als Talent. Doch er kündigte den Militärs die Treue. Und er tat es nicht in aller Stille, sondern öffentlich. Doch auch die Kriegsherren widersprechen sich. Die einen begrüßen die neuen Soldatenkontingente. Ohne sie sei der Krieg nicht mehr zu gewinnen, sagen sie. Nein, die verschluckt dieses Land nur, wie es zuvor schon die anderen verschluckt habe, warnen die Skeptiker.
Das nächste Dorf, die nächste Razzia, wieder Türen in Trümmern. Schon vor dem Streit um Truppenstärken haben die Soldaten neue Anweisungen erhalten. Festnehmen sollen sie nun auch jene, die den Opiumanbau kontrollierten. Sie sollen Drogenlabore ausheben, denn damit verdiene der Gegner das Geld für seine Waffen. »Endlich greift da mal jemand durch«, sagen nun wieder die einen, während andere warnen – vor willkürlichen, geheimen Todeslisten. Denn die Soldaten sollen Verdächtige auch töten dürfen.
»Wenn diese Liste ein Drogenlabor benennt, ein Lager oder einen Transport, dann ist
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