Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
ohne dem Amerika-Freund in Kairo in den Rücken zu fallen. »Die Menschen dort haben Rechte, die universell sind«, bekräftigt er, »etwa das Recht auf politische Versammlung, auf Redefreiheit und darauf, das eigene Schicksal zu bestimmen. Das sind Menschenrechte. Und die USA stehen dafür überall ein.«
Als Tage später Mubarak noch immer an seiner Macht hängt, meldet sich Obama wieder zu Wort. »Ich habe mit Präsident Mubarak gesprochen«, sagt er mit noch immer austarierten Worten, »er hat erkannt, dass sich etwas ändern muss. Es ist nicht Sache des Auslands, Ägyptens Führer zu bestimmen. Aber es ist klar, dass ein geordneter, friedlicher Wandel jetzt beginnen muss.« Vor allem den jungen Menschen in Ägypten rufe er zu, dass Amerika sie höre. Die Zukunft ihres Landes sei offener denn je. Doch er sei zuversichtlich, dass das ägyptische Volk die Antworten selbst finden werde.
Das ist noch immer kein Verrat an Mubarak, legt diesen aber auf Reformen und Gewaltverzicht fest. Und es bringt Washington Zeit, hinter den Kulissen Einfluss zu nehmen. Denn entscheidend wird sein, wie Mubaraks Generäle sich verhalten. Ob sie einen Befehl befolgen, auf Landsleute zu schießen – oder ob sie es als patriotischer betrachten, diesen zu verweigern. »Wir reden ständig miteinander«, bestätigt US-Generalstabschef Mike Mullen. Das Druckmittel, das Obama einsetzen könne, sei Amerikas milliardenschwere Militärhilfe, an der Ägyptens Armeeführung weiterhin gelegen sei.
Am Ende gelingt der friedliche Machtwechsel. Und der Freiheitsdrang der arabischen Völker greift auf die Gaddafi-Diktatur in Libyen über, dessen Armee freilich nicht lange zögert, wenn sie Demonstranten niederschießt. Ein US-Einmarsch scheint dennoch ausgeschlossen, denn drei Kriege zugleich sind auch von Amerika nicht zu führen. Die Republikaner sperren sich schon gegen den Einsatz von Militärberatern. Doch Massaker an der libyschen Bevölkerung, wie sie Gaddafi androht, kann Obama ebenso wenig zulassen, ohne unglaubwürdig zu werden. So findet er sich erstmals in der Situation wieder, dass er mit Franzosen und Briten einem Luftkrieg gegen Gaddafis Truppen zum Erfolg verhelfen muss, ohne maßgeblich daran teilzunehmen. Als Monate später auch Gaddafi stürzt und in Tripolis ein Übergangsrat die Führung übernimmt, müssen auch die Kritiker im US-Kongress erkennen, dass Obama ihnen da keine Schwächen bietet. Im heraufziehenden Präsidentschaftswahlkampf sind ihre Kandidaten in Fragen der Außenpolitik zudem derart unbeleckt, dass sie diese durchweg meiden oder als nebensächlich abtun. Der Präsident kann sich nun wieder auf seine alten Ziele konzentrieren: die letzten Truppen aus dem Irak abziehen, den Afghanistan-Krieg gesichtswahrend beenden – und die Jagd auf al-Qaida-Führer mit ferngelenkten Drohnen fortsetzen.
Die Mütter von Arlington
Wer sonntags an den Gräbern des Soldatenfriedhofs über dem Potomac entlanggeht, trifft auf Hinterbliebene, denen weniger Bodentruppen schon früher recht gewesen wären. Zu sehen, wie sich Abertausende steinerner Kreuze, in Reihen stehend wie eine letzte Armee, über die grünen Hügel Arlingtons erstrecken, gehört zu den beklemmendsten Momenten meiner Korrespondentenzeit. Vor allem, wenn jenseits der jüngsten Gräber die Bagger schon die nächste Reihe vorbereiten – für jene, die noch gar nicht wissen, dass sie bald hier begraben werden.
Nicht einmal die von Müttern angeklebten Fotos ihrer Söhne dürfen die Ordnung stören. »Die Friedhofswärter werfen sie regelmäßig in den Müll«, schimpft Paula, die Mutter des Rekruten Justin, der mit 19 Jahren vom Schlachtfeld Afghanistan zurückkam – im Sarg.
In Sichtweite liegt Andy, der nichts lieber werden wollte als Soldat. »Er war so glücklich, als er die Uniform trug«, erinnert sich Mutter Xiomara. Andy starb im Irak. Die Familie bekommt dann den Armreif des Soldaten von der Armee zurück, der als Inschrift Namen, Rang, Einheit und Todesdatum trägt. Andy wurde 24 Jahre alt. »Seine beiden Brüder sind derzeit in Afghanistan«, sagt Xiomara. »Sie sind Zwillinge. Und Soldaten mit Leib und Seele.«
Wären die Gräber nicht, man könnte die Zusammenkunft der Frauen, mit Klappstühlen, Sonnenschirm und Thermoskanne, für ein Picknick halten. Auch Beth hat sich nun dazugesellt, am Grab von Sohn Niklas, 21, getötet in Afghanistan. Jede Woche treffen sie sich hier und stützen einander, wenn ihre Trauer wieder hochkommt. Sie sind keine
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