Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
andere Cybermächte uns angreifen würden. Oder davon, dass man auf einen erkennbaren Cyberangriff mit einer noch heftigeren Gegenattacke reagieren könne. Das klingt alles gut und sehr nach Militär und Machos, und es erinnert in der Tat an den Beginn des Kalten Krieges. Aber es macht kaum Sinn im Internet, weil wir den Angriff da eben nicht sehen. Weil er sogar aus dem eigenen Land kommen kann. Zudem sind wir Amerikaner zwar sehr gut, was Cyberangriffe angeht, aber wir sind sehr schlecht in der Defensive. Warum also einen Cyberkrieg gegen China oder Russland führen? Es wäre für uns nicht sehr angenehm, wenn wir kurz darauf selbst hier sitzen würden, sagen wir mit einer lahmgelegten oder gar zerstörten Energieversorgung.«
Dennoch sehen auch in der Obama-Regierung einige den Cyberkrieg als Fortschritt, noch weit über die Drohnentechnologie hinaus, sagt Studienautor Travis Sharp: »Sie sehen darin eine humanere Methode, Kriege zu führen, da sie weniger Opfer fordert und weniger zerstört als Bombardements.« Skeptiker hielten jedoch weiterhin dagegen, in Wirklichkeit seien die Konsequenzen so unklar wie bei Atomwaffen.
Auch die zuständige US-Ministerin für Heimatschutz, Janet Napolitano, vermittelt den Eindruck, dass die USA zumindest von einer modernen Abwehrstrategie noch weit entfernt sind. Auch wenn sie es schöner formuliert: »Wir müssen schnell, effektiv und innovativ erkennen, dass das Ökosystem Internet sich gewandelt hat«, wendet sie sich auf einem Sicherheitskongress in San Francisco direkt an ihre Zuhörer. »Deshalb brauchen wir eure Hilfe, eure Intelligenz, euer Fachwissen, um herauszufinden, wo die künftigen Gefahren liegen, und um sie zu bewältigen. Das ist es, meine Freunde, was wir eine nationale Sicherheitsanstrengung nennen.«
8 Im Boot mit Boehner
Tollhaus Washington
Im Januar 2011 hätte eine neue Zeit beginnen können. Die überparteilich besetzte Untersuchungskommission rechnet da mit allen ab, die in und für Amerikas Banken- und Immobiliensektor Verantwortung trugen. Auf 600 Seiten schont der Bericht keinen. Nach einer Krise, die Millionen Menschen den Arbeitsplatz gekostet und mehr als zehn Billionen Dollar Haushaltsvermögen vernichtet habe, steht da, gebe es dafür keinen Grund. »Auch wenn manche weiterhin behaupten, dass jene Krise nicht vorhersehbar gewesen sei, es gab viele, viele Warnsignale, die beschönigt oder ignoriert wurden«, klagt der Vorsitzende Phil Angelides, als er die Bilanz in Washington erläutert.
Auch die Politik, sei es von früheren Präsidenten oder von Notenbankchef Ben Bernanke, habe zum Zusammenbruch des Immobilienmarktes beigetragen, weil sie den Finanzjongleuren der Wall Street allzu freie Hand gelassen habe. Dabei habe selbst das FBI lange zuvor auf die Gefahren hingewiesen. Die Gier zahlreicher Geldhäuser habe dann zur Dimension der Krise beigetragen, ebenso wie miserables Management, allen voran bei der Investmentbank Lehman Brothers, mit deren Pleite der Finanzkollaps begann.
»Wir haben ein System toleriert oder sogar gutgeheißen, das uns in den Zusammenbruch führte«, weist der Bericht vielen eine Mitschuld zu. Selbst als die Fehlentwicklung offensichtlich gewesen sei, hätten Parlament und Regierung noch schlecht und widersprüchlich darauf reagiert und so zur Panik auf den Märkten beigetragen.
Dieses Fazit könnte für alle sowohl Anlass zur Selbstkritik sein als auch eine Mahnung, es künftig besser zu machen. Doch Washington tickt derzeit anders. Noch immer berauscht vom Erfolg der Tea Party oder zumindest von ihrem Widerhall in den US-Medien, drängt Amerikas neue Rechte nicht etwa auf bessere, sondern auf weniger Regulierung, anders als es der Untersuchungsbericht nahelegt – und ganz gemäß der »Philosophie« der Ultrarechten. Gegen den Wortlaut des Berichts kündigen die republikanischen Kommissionsmitglieder denn auch Protest an, ebenso wie die Fraktion im Parlament. Statt aus der Krise Lehren zu ziehen und die Armut, die sie über viele Amerikaner gebracht hat, zu lindern, wird sie von der US-Rechten für einen Ideologiestreit instrumentalisiert. Zu groß sind die Unsicherheiten, Ängste und Emotionen im Land, um sich die Chance entgehen zu lassen, damit weiter Stimmung gegen Obama zu machen. Ein Jahr später wird es der republikanische Präsidentschaftsbewerber Newt Gingrich sein, der dies am konsequentesten betreibt – indem er dem Sozialpolitiker Obama vorwirft, »der Lebensmittelmarken-Präsident
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