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Wahnsinn

Titel: Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Ketchum
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gab, sondern dass auch keine anderen Kinder im Wasser waren. Und keine Erwachsenen. Er hatte das Becken ganz für sich allein. Er fragte sich, wo alle steckten. Vielleicht fand ja eine Parade oder so was statt. Ob er irgendwas verpasste? Schließlich saß niemand wie sonst am Beckenrand, obwohl es ein schöner Sommertag war. Doch dann fing er einfach an zu schwimmen. Es machte richtig Spaß.
    Am besten konnte er unter Wasser schwimmen, also tauchte er fast durch die gesamte Beckenbreite, ehe er wieder Luft holen musste. Dann beschloss er, auch der Höhe nach durch das Becken zu tauchen, um zu sehen, wie weit er kam. Aber er hatte irgendwie falsch eingeatmet, denn er musste schon viel früher nach Luft schnappen, als er gedacht hatte. Als sein Kopf die Wasseroberfläche durchbrach, sah er, dass er sich nicht mehr in einem Schwimmbecken befand, sondern mitten in einem See, der von Bäumen und Sträuchern gesäumt wurde.
    Da sah er die Schlangen.
    Es waren drei schwarze Schlangen, die direkt hinter ihm auf ihn zuhielten. Er sah, wie sie ihre Köpfe aus dem Wasser hoben, sah, wie sie sich schnell über die Oberfläche des schmutzigen schwarzen Seewassers schlängelten, während sich der Himmel plötzlich verdunkelte.
    »Hilfe!«, schrie er, aber es war niemand da. Dann fiel ihm wieder ein, dass der Bademeister heute freihatte. Er drehte sich um und fing an zu strampeln, um so schnell wie möglich Richtung Ufer zu schwimmen. Aber er wusste, er spürte, dass die Schlangen immer näher kamen. Sie bewegten sich schneller, als jedes andere Lebewesen, das er kannte – wie lebendige Torpedos. Er wusste, dass er es nicht mehr rechtzeitig zum Ufer schaffen würde. Gebetsmühlenartig wiederholte er die Worte Geht weg, geht weg, geht bitte, bitte weg und betete, dass er sich getäuscht hatte, dass die Schlangen in Wahrheit gar nicht hinter ihm her waren, dass sie in Wahrheit ganz woanders hinwollten und gar keine Lust hatten, Kinder in seinem Alter zu beißen und nur scheinbar in seine Richtung schwammen. Er wandte sich um, um zu sehen, ob seine Hoffnung ihn nicht trog, doch da sah er sie, nur Zentimeter von seinen Füßen entfernt. Sie waren kurz davor, ihn mit ihren nadelspitzen Fangzähnen in schneeweißen, klaffenden Rachen, an denen dickflüssiges Gift in der Sonne glitzerte, zu beißen. Er schrie und wachte gerade noch rechtzeitig auf. Er schrie weiter in die feuchte, erdrückende Dunkelheit in seinem Zimmer, bis seine Mom hereinkam und ihn in den Arm nahm – und so, wie sich das Bett unter ihm anfühlte, bemerkte er, dass es ihm wieder passiert war.

    Irgendetwas geschah mit Robert.
    Sie hatte es bemerkt, seine Lehrerin Mrs. Youngjohn hatte es bemerkt und Arthur hatte es bemerkt. Sogar Ruth gab ihre Kommentare dazu ab.
    Beispielsweise hatte er zu stottern angefangen.
    Oft musste sie ohnmächtig zusehen, wie er sich abmühte, ein Wort herauszubekommen, mit angestrengt zusammengekniffenen Lippen, als säße das vollständig gebildete Wort dahinter in der Falle. Und wenn es ihm dann endlich gelang, es herauszupressen, kam es gleich doppelt, unkontrolliert und viel zu schnell. Währenddessen blinzelte er ständig, während sich die Muskeln um seine Augen herum wie unter großer Anstrengung anspannten.
    Es war schon fast die Regel, dass er zwei-, dreimal in der Woche von Alpträumen aus dem Schlaf gerissen wurde.
    Und dann wurde er mit einem Mal immer ungeschickter. Plötzlich hatte Robert mehr aufgeschrammte Ellbogen und Knie als alle anderen Kinder. Wenn er lief, stolperte er regelmäßig über die eigenen Füße. Er fiel vom Fahrrad, ließ Sachen fallen und rannte gegen Treppengeländer. Schon im vorherigen Sommer hatte sie blaue Flecken an seinen Beinen bemerkt, die so schlimm waren, dass sie jedes Mal, wenn er kurze Hosen anzog, befürchten musste, dass ihn irgendjemand genauer ansehen und dann ihr und Arthur Kindesmisshandlung vorwerfen würde. So etwas war schließlich schon vorgekommen.
    Einmal verbrannte er sich morgens, weil er sich unter die viel zu heiße Dusche stellte. Sie war unten beim Bügeln, als sie ihn schreien hörte. Sie rannte nach oben und fand ihn schluchzend und tropfnass auf der Badematte. Sein rechter Fuß, das Bein, der Oberschenkel und die rechte Hinterbacke waren mit krebsroten Flecken übersät. Sie nahm das antiseptische Spray aus dem Medizinschränkchen und besprühte ihn von oben bis unten.
    »Das wird alles wieder gut«, sagte sie immer wieder, während sie seinen Oberkörper vorsichtig an

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