Wahnsinn
wünschte es sich mehr als alles andere auf der Welt – doch er wollte auf keinen Fall, dass sein Dad seiner Mom wehtat. Und das würde er tun. Er kannte seinen Dad besser als irgendjemand sonst. Er würde ihr sehr wehtun.
Es war seine Aufgabe, sie zu beschützen.
Vielleicht konnte er Miss Stone ja etwas sagen, ohne etwas zu sagen, dachte er. So ähnlich hatte er es schon bei Doktor Bromberg gemacht.
»Kann sein«, antwortete er.
»Jemand, der dich anfasst, wo du nicht angefasst werden möchtest?«
»Kann sein.«
»Und wo?«
Ab jetzt wurde es gefährlich.
»Geschlechtsteile … vielleicht«, sagte er.
»Jemand fasst deine Geschlechtsteile an?«
»Kann sein.«
»Wer macht das, Robert?«
Das würde er nicht sagen. Auf keinen Fall. Das ging nicht. Obwohl er es so gerne gesagt hätte. Mein Vater, mein Vater ist derjenige, der das tut, hätte er gerne gesagt. Aber er sah immer nur das Kaninchen vor sich.
Er würde abwarten. Früher oder später würde sie die Frage vergessen und mit etwas anderem weitermachen.
Das war bei dem anderen auch so gewesen.
Sie schrieb etwas in ihr Notizbuch. Eigentlich fand er sie ziemlich nett. Sie hatte jedenfalls eine nette Stimme. Das gefiel ihm.
Er wartete und starrte auf den Teppich.
»Du willst es mir nicht sagen?«
Er schüttelte den Kopf.
»Warum nicht?«
Er wartete noch ein bisschen. Seine Haut juckte, als wäre er am Strand beim Schwimmen gewesen. Als wäre seine Haut noch klebrig vom Meersalz. Er scheuerte mit dem Po über den Teppich. Das half ein bisschen, aber nicht sehr viel.
»Tut es dir weh, wenn das passiert?«
Das war weniger gefährlich. Gut.
»Ja.«
»Sehr?«
Er nickte.
»Wo tut es weh?«
»An meinen Geschlechtsteilen.«
»Vorne oder hinten? Oder beides?«
»Hinten.«
»Aber du willst mir nicht sagen, wer das macht?«
Er schüttelte den Kopf.
»Kommt das oft vor?«
»Kann sein.«
»Auch hier im Haus?«
Aufpassen.
Weil es auch schon mal im Haus passiert war. Jetzt nicht mehr. Früher schon. Vorsichtig. Er vermutete, dass Miss Stone ziemlich schlau war. Nichts zu sagen wäre womöglich genauso wie doch etwas zu sagen.
Lieber nicht antworten.
Sie beugte sich vor, wollte ihm näher kommen, auch wenn er nicht wusste, warum. Jedenfalls blieb sie auf der Couch sitzen und kam nicht runter zu ihm auf den Boden.
»Ich muss dich was fragen, Robert. Es ist sehr wichtig. Vielleicht sogar das Wichtigste überhaupt heute Abend – und es ist auch ganz, ganz wichtig, dass du mir eine Antwort gibst, okay?«
Er zuckte mit den Achseln.
Doch in seinem Innersten hatte er große Angst. Er wartete. Wartete auf die Frage.
Wenn es sein musste, würde er lügen. Und das machte ihm noch mehr Angst.
»Robert, ist es deine Mutter, die dir wehtut?«
»Himmel! Nein! «
Er zuckte förmlich zusammen.
Wie konnte sie so etwas auch nur denken? Es war, als hätte sie ihm eine Ohrfeige verpasst.
Die Leute waren manchmal echt verrückt.
Sie lächelte. Lachte beinah. Als sei sie erleichtert. Vielleicht hatte er auch ein komisches Gesicht gemacht, als sie ihn das gefragt hatte.
Doch dann wurde sie wieder ernst. Jetzt war es so weit.
»Ist es dein Vater, Robert?«
Er sah das Kaninchen mit dem weggeschossenen Bein in der Hand seines Vaters deutlich vor sich. Als sie wieder bei ihm zu Hause gewesen waren, hatte er ein Messer genommen, die Haut und das weiche, braune Fell am Rücken des Kaninchens gepackt und das Messer hineingesteckt, es aufgeschlitzt und ihm das Fell bis zu den Pfoten abgezogen. Als würde man eine Socke ausziehen. Dann hatte er dem Kaninchen die Pfoten abgeschnitten. Er sah, wie er dasselbe mit der oberen Hälfte gemacht hatte, bloß dass er diesmal nicht nur die Pfoten abtrennte, sondern auch den Kopf des Kaninchens. Und schließlich hatte er den rosafarbenen Bauch aufgeschnitten, hineingegriffen und die Innereien herausgezogen.
Das kann man auch mit einem Menschen machen, hatte er gesagt.
Genau dasselbe.
Wusstest du das?
»Ist es dein Vater, Robert?«
Nein. Er würde nicht wieder weinen, verdammt! Und er würde ihr auch nichts sagen.
Macht, dass er aufhört, dachte er. Irgendwie.
Und dann weinte er doch ein wenig.
Aber er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und sagte nichts.
15
Im Wald
Duggan trat von einem Fuß auf den anderen, da ihm die Kälte in die Schuhe kroch, und zündete sich an Al Whoorlys Winston eine Newport Lite an. Er hasste Newport Lites mehr als alle anderen Zigaretten, die er jemals geraucht hatte, deshalb war er
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