Wahnsinn
schluchzend mit dem Rücken gegen die Beifahrertür.
Sie rutschte zu ihm rüber, streckte die Arme aus, umarmte ihn und hielt ihn fest, wiegte ihn, während sie beide ihren Tränen freien Lauf ließen. Sie fühlte sie warm und feucht an ihrer Brust, ihr Moschusgeruch erfüllte den Innenraum, bis sie nach einiger Zeit endlich versiegten.
Sie flüsterte: »Warum hast du vorher nichts gesagt, Robert? Ich weiß, dass du deinen Daddy liebhast, aber …«
»Ich habe ihn überhaupt nicht lieb. Ich hasse ihn.«
Sie blickte ihm in die Augen und begriff, dass er die Wahrheit sagte.
»Aber weshalb …?«
»… würde dich umbringen«, nuschelte er in ihre Bluse. Er hatte die Hände auf ihrem Rücken in den Stoff gekrallt, klammerte sich an ihr fest, als wollte er in sie hineinkriechen.
»Was? Sag das nochmal.«
Und dann brach alles aus ihm heraus.
»Da war das Kaninchen, das er umgebracht hat. Er hat ihm das Fell abgezogen und den Kopf abgeschnitten und die Füße. Dann hat er gesagt, das würde er auch mit dir machen, wenn ich was sage, und ich wusste, dass er keinen Witz macht und dass er das wirklich machen würde, weil er dich hasst, dich richtig hasst, aber jetzt sag ich alles und er wird …«
»Hey«, unterbrach sie ihn und drückte ihn an sich.
Seine Angst hing wie Ozon im Auto und sie spürte, dass er kaum noch Luft bekam. Da begriff sie erst, was er gerade gesagt hatte. Sie drückte ihn noch fester an sich.
Das also war der Grund.
Er hatte die Wahrheit gesagt, als er ihr und Andrea Stone gegenüber abgestritten hatte, dass sein Vater ihm Gewalt angedroht hatte.
Er hatte sie damit schützen wollen.
Nicht seinen Vater. Oder sich selbst.
Er hatte die ganze Zeit getan, was er für das einzig Richtige gehalten hatte. Er hatte ihr Leben geschützt, indem er sein eigenes fast aufs Spiel gesetzt hatte.
»Er wird mich nicht umbringen, Robert«, sagte sie. »Er wird mir oder dir überhaupt nicht mehr wehtun. Es ist mir egal, was er gesagt hat. Er ist ein Lügner und ein Feigling, und er wird keinem von uns je wieder irgendwas antun.«
Er sah sie an. Er würde mir so gerne glauben, dachte sie.
Und fast – wenn auch noch nicht ganz – tat er das auch.
»Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab?«, fragte sie. »Weißt du eigentlich, wie tapfer du bist? Ich liebe dich, Robert. Wir beide werden das zusammen durchstehen, und dann werden wir sehen, wer hier wem was antut, okay? Okay, mein Großer?«
Sein Lächeln war nicht überzeugend, aber immerhin war es ein Lächeln.
Jetzt lächelte sie auch. Denn nun konnten sie etwas unternehmen. Nun konnten sie etwas ausrichten.
Sie musste auf der Stelle mit Owen Sansom und Andrea Stone reden.
Sie glaubte, dass sich jetzt alles ändern würde.
Wir haben uns befreit.
Jetzt können wir zurückschlagen. Jetzt können wir gewinnen.
27
Das Protokoll
»Wir gehen folgendermaßen vor«, erklärte Sansom ihr am Telefon. »Wir fahren mit ihm nach Concord. Ich kenne da einen Polizeipsychologen. Ich habe auch schon mit Andrea gesprochen, die auch jemanden dort kennt. Sie bereitet in diesem Moment alles vor. Diese Leute sind gut, Lydia. Wir lassen ihn mit beiden alles durchsprechen, in zwei Durchgängen, und nehmen alles auf Video auf. Mal sehen, was Edward Wood dazu einfällt.«
»Mein Gott. Danke, Owen.«
»Wir sind in einer Stunde bei Ihnen. Bis dahin lassen Sie ihn nicht aus den Augen, verstanden?«
»Werd ich nicht.«
Sie legte auf. Sie blickte aus dem Fenster und sah, dass die Sonne sich hinter einer Wolke versteckt hatte. Es würde schwer werden für Robert, dachte sie, sehr schwer. Doch in ihren Augen wurde dieser Tag mit jedem Augenblick besser und heller.
Concord, New Hampshire
25. Februar 1995, 16.45 Uhr
AUSZUG AUS DEM PROTOKOLL EINES AUF VIDEO AUFGEZEICHNETEN GESPRÄCHS ZWISCHEN LT. DR. D. A. SWEENEY , PSYCHOLOGE DER NEW HAMPSHIRE STATE POLICE UND ROBERT DANSE, ALTER ACHT JAHRE, WOHNHAFT 145 EAST CEDAR STREET, PLYMOUTH, NEW HAMPSHIRE:
F.: Wie nennst du diesen Körperteil hier? (Deutet auf den Penisbereich einer anatomisch korrekten Stoffpuppe.)
A.: Geschlechtsteil.
F.: Noch einmal, bitte.
A.: Die Geschlechtsteile.
F.: Die Geschlechtsteile. (Dreht die Puppe um.) Wie würdest du diesen Körperteil nennen?
A.: Po.
F.: Du hast mir erzählt, dass du es nicht leiden kannst, wenn dein Dad schmutzige Sachen mit dir macht. Kannst du mir an dieser Puppe zeigen, was du meinst? Was er mit dir macht?
A.: Er macht da hinten Sachen mit mir. (Klopft sich auf
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