Wahr
ungefährliche Trotz, den er aus ihren Kindertagen kannte, als sie an der Garderobe ungeduldig mit dem Fuß aufgestampft hatte. Es war etwas anderes.
»Rate mal, was ich denke?«
Für einen Moment hoffte er, sie würde von den Vögeln im Baum sprechen, das spezielle Licht kommentieren. Aber er wusste, was kam.
»Ich denke, dass Eeva wegen dir nicht mehr am Leben ist. Du hast etwas getan oder eher etwas zu tun unterlassen, und daran ist sie gestorben. Wenn es dich nicht gäbe, wäre sie noch da.«
Sie machte eine Pause, ehe sie fortfuhr. Woher hatte sie das plötzlich? Diese kühle, rationale Art, Schlussfolgerungen vorzutragen, Vorwürfe einzuflechten? Das Schlimmste war noch gar nicht gesagt, das sah er an ihrem Blick.
»Und da es sich offensichtlich so verhält, dass sie ohne dich noch am Leben wäre, kann man auch genauso gut sagen, dass du sie umgebracht hast.« Sie sah ihm fest in die Augen.
Der Satz brachte ihn fast ins Taumeln, aber er blieb aufrecht, hielt ihrem Blick stand. Es hätte ein ganz anderes Treffen sein können, sie mit einer Cola und er mit einem Kaffee auf einer Parkbank, Geschichten über Passanten, Gespräche über früher. Leicht und ungefährlich. Aber ihre Wut, ihr Hass machten diese Möglichkeit zunichte.
»Du brauchst es gar nicht abzustreiten. So leicht kommst du da nicht raus«, sagte Anna. »Eevas Liebe war so groß wie das Leben selbst, und du hast sie betrogen, in dem du sie nur für eine Weile benutzt hast. Das hat sie vernichtet. Also hast du sie getötet. Oder etwa nicht? Gib’s zu!«
Er hätte von anderen Dingen sprechen wollen. Wo war die Liebe, die gerade erst aufblühte und an ihnen vorbeispazierte? Wo waren Rebekka und Aleksi und all diejenigen, die sie kennengelernt hatten? Das war jetzt verpufft, ohne Bedeutung. Er beschloss, sich von ihren Anschuldigungen nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Das Thema zu wechseln war nicht mehr möglich, selbst wenn der Sommertag mit seiner erstaunlichen Klarheit sich geradezu als Gesprächsstoff aufdrängte. Er musste die Weite des Himmels übergehen und die viel schwereren Worte sagen. »Ich habe sie geliebt. Das vernichtet niemanden, das ist kein Umbringen.«
Annas Miene blieb versteinert. »Oh doch, gerade bei Männern kann das sehr gut zusammenfallen.« Sie war unerbittlich.
In Gedanken skizzierte Martti ihren Gesichtsausdruck, prägte sich ein, wie die Feindseligkeit aus ihren Zügen leuchtete, registrierte, dass ihre Vorwürfe bei ihm ein klebriges Gefühl am Gaumen hervorriefen. Der Ausdruck von Empörung ähnelt dem von Verblüffung, dachte er. Beim Zeichnen musste man die Augen eher einen Tick heben und öffnen, durfte sie jedenfalls nicht verengen. Der wutverengte Blick war ein Klischee. Echte Wut war Verblüffung, manchmal kamen gerötete Wangen dazu. Auf Leinwand müsste man den Rotton mit etwas Milchigem, Transparentem anmischen.
Anna formulierte ihre finale Anklage. »Deine Liebe war eine Liebe, die Eeva eingehen ließ. Hast du eigentlich jemals über deine Verantwortung nachgedacht?«
»Niemand kann die Verantwortung für einen anderen Menschen übernehmen, geschweige denn für dessen Tod.«
Anna zweifelte nicht einen Moment daran, was jetzt zu antworten war. »Zu lieben bedeutet aber doch gerade, Verantwortung zu übernehmen, und zwar ohne jede Einschränkung! Also, es hilft nichts, du hast sie getötet.«
Der Streit war sinnlos und zugleich schockierend. Er sah die Szene mit den Augen der Passanten: Ein alter Mann und eine junge Frau warfen sich dramatische Sätze an den Kopf. Aber all diese Sätze wurden vorher verschwiegen. Noch nie hatte er diese Worte so offen ausgesprochen. Noch nie hatte jemand so vehement seinen Standpunkt eingefordert, und im Grunde hatte er ihn sich nicht einmal selbst erklärt. Und doch war er sich seiner Position vollkommen sicher. Und fast ebenso sicher war er sich, dass Anna diese Gedanken unbedingt hören musste, sie vielleicht dringender brauchte, als Eeva sie gebraucht hätte.
»Sie war frei. Sie konnte tun, was sie wollte, und das hat sie getan.«
Anna wollte nicht aufgeben, blieb beharrlich, als hätte sie seine Worte nicht verstanden. »Du hast sie an deine kümmerliche Liebe gebunden, gefesselt wie eine Gefangene, davon ist sie nie wieder frei gekommen!«
Er musste lachen, auch wenn ihm klar war, dass Anna das als Spott deuten würde. »Du machst mich viel zu groß. Meines Wissens habe ich noch nie jemanden gefesselt, ich habe weder die Kraft noch die Lust, eine Frau
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