Wahr
zufriedenstellend. Ich kann traditionelle Speisen wie den Ofenkäse zubereiten, kann Piroggenteig falten, und mein Rindereintopf ist kräftig und nahrhaft. Ein eigenes Zimmer müssen sie mir nicht anbieten, ich bin zufrieden mit dem Arrangement bei Kerttu in der Liisankatu. Die Zweizimmerwohnung gehörte vorher ihrer Großmutter, Kerttu hat sie geerbt. Ich schlafe in der kleinen Kammer und Kerttu im Wohnzimmer. Ausnahmen sind die Wochen, in denen ihr deutscher oder ihr dänischer Freund zu Besuch ist. Dann überlasse ich Kerttu das Schlafzimmer und ziehe aufs Sofa im Wohnzimmer.
Aber jetzt stehe ich vor der Tür und klingele. Später wird mir klar, dass mein Leben, mein neues Leben, in genau diesem Moment beginnt. Vielleicht ist sogar auch schon das Ende zu sehen, hier an dieser Tür. Aber dies ist erst der Anfang, und Anfänge wollen vom Ende nichts wissen.
Elsa öffnet die Tür. Als Nächstes sehe ich den Mann und das Mädchen. Der Mann steht auf der Schwelle. Hinter ihm seine Tochter mit einer Puppe im Arm. Sie geht zu ihrer Mutter und hält sich an ihrem Rocksaum fest. Sieht mich an. Ich weiß nicht, was ich über sie denken soll, außer dass sie neu ist, ganz neu. Dies ist der Moment, der später, als alles vorbei ist, noch immer fortdauert.
Ich an der Tür, Elsa mit einem Begrüßungslächeln auf den Lippen – denn noch habe ich nichts getan, was ihr Lächeln tilgen könnte – und das Mädchen neben Elsa. Beim Mann fällt mir im ersten Moment nur eine angenehme Wohlgefälligkeit auf, eine Attraktivität, die kein Aufhebens um sich macht.
Ich nehme auf dem Sofa im Wohnzimmer Platz. Wenn ich den Mann ansehe, muss ich aus irgendeinem Grund an Pferde denken; ich weiß nicht, ob es an seinen Beinen liegt oder vielleicht auch an seinen Haaren. Und dann ist da noch etwas Vertrautes, das ich nicht entschlüsseln kann, das mich zweimal hinschauen lässt, auf seine Hände, seine umherwandernden Augen.
Elsa lacht, und ich denke: Schön ist sie. Der Mann reicht mir die Hand, stellt sich kurz vor.
»Und das ist unsere Ella«, sagt Elsa und nimmt ihre Tochter auf den Schoß, die Puppe fällt auf den Boden. Ella streckt ihre Hand nach mir aus. Noch kann ich nicht wissen, dass diese Bewegung mich noch Jahre später erreichen wird, wo auch immer ich hingehe.
»Hallo Ella«, sage ich.
Elsa erzählt vom letzten Kindermädchen, Hilma, die aus gesundheitlichen Gründen aufhören musste.
»Wie schade.«
Der Mann lacht auf. »Sie war ohnehin zu streng mit Ella.«
Elsa ist gutmütig, redet nicht schlecht über andere Menschen. Sie legt ihre Hand auf den Schenkel ihres Mannes. Sie haben diese gemeinsamen zärtlichen Gesten; wenn ihr Mann schroff wird, legt sie ihm mäßigend die Hand aufs Bein. Ihr Mann ereifert sich schnell, das werde ich später noch erfahren. Ich lerne diese aufbrausenden Momente lieben, die ihn in früheren Jahren in Schwierigkeiten gebracht haben, auf Fußballplätzen und Hinterhöfen. Auch Elsa liebt das Aufbrausende ihres Mannes. Sie liebt es auf genau dieselbe Weise wie ich.
»Naja«, sagt Elsa leichthin, versöhnlich, die Hand noch immer auf seinem Bein. »Mein Mann hatte mit Hilma die eine oder andere kleine Meinungsverschiedenheit. Hilma war altmodisch. Unsere Ansichten zur Kindererziehung sind bedeutend freier.«
»Was heißt das genau?«, frage ich neugierig.
Ich selbst kenne bloß meinen Vater, Herrn Koivuniemi, der den Krieg nur wegen der kleinen Bibel in seiner Brusttasche überstanden hat, der mir mit Birkenreisig eins über den Rücken gezogen hat, wenn ich vergaß Bitte oder Danke zu sagen. Er ist mir lieb, aber er ist sehr streng.
Der Mann sieht seine Frau mit weichem Blick an:»Elsa hat ihre Ansichten. Allein schon wegen ihres Berufs.«
»Und wir möchten auch, dass sich das Kindermädchen bei uns wie zu Hause fühlt.«
Ich erzähle von meiner Mutter, von der Familie, bei der ich im ersten Studienjahr als Kindermädchen gelebt habe. Ich erzähle von meiner Arbeit im Kaufhaus, lasse aber Vieno weg, genauso die Tatsache, dass ich wegen ihr eine neue Arbeit suche. Dafür erzähle ich von Kerttu.
Von unseren Nächten erzähle ich nicht, von den Festen, die oft bis in den Morgen gehen. Ich erzähle nicht von den wilden Stunden, in denen wir Gäste empfangen und die Rotweinsorten mit aufmüpfigen neuen Namen versehen. Wir reden über alles Mögliche, schmieden Pläne, ohne viel zu wissen. Wir lesen Gedichte vor. Manch mal spielt jemand Gitarre, manchmal reißt jemand das
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