Wahrheit (Krimipreis 2012)
Schulter.
»Nein, nein, Steve, bleiben Sie noch. Kaffee. Ein gemütlicher freitäglicher Absacker.«
Als Vicky gegangen war, um die letzten Gäste zu verabschieden, begaben sie sich auf die Terrasse, in große Holzstühle. Eine schwarz gekleidete lächelnde Frau mit silbrigen Haaren brachte Kaffee, Pralinen, eine Flasche Cognac, Cognacgläser.
Max goss ein. Vor ihnen erstreckte sich der dunkle Garten bis zum Fluss, dahinter standen die Stadt und ihre Türme in hell strahlendem Selbstbewusstsein.
»Zigarre?«, fragte Hendry. »Ich sollte nicht, aber vielleicht erlaube ich mir einen Rückfall. Gutes Wort, Rückfall. Klingt ein wenig wie Sündenfall, und darauf läuft’s ja auch fast hinaus. «
»Vielleicht falle ich mit Ihnen zurück«, sagte Villani.
Hendry ging, kam mit zwei Zigarren und einem silbernen Stachel zurück, durchbohrte die dunklen Zylinder, reichte einen weiter, samt einer Schachtel Streichhölzer.
»Gott sei Dank für Kuba«, sagte er. »Für Kuba und Frankreich. «
Sie zündeten die Zigarren an. Der Rauch hing in der Luft.
Unter ihnen leuchteten Tatzenabdrücke auf, die sich in großen Schritten bis hinunter zum Fluss zogen.
Villani nahm sein Glas in die Hand, er war angeheitert. Das aus Bullaugen im Boden aufsteigende Licht färbte den
Cognac in ein dunkles Honiggold. Hendry wollte etwas loswerden, das merkte man.
»Was ich Sie fragen wollte«, sagte Hendry. »Eigentlich ein wenig dreist. Haben Sie schon einmal daran gedacht, sich ein anderes Metier zu suchen?«
Villani sagte: »Ich kann nur Cop.«
»Sie sind jetzt auch nicht gerade Streifenpolizist«, sagte Hendry.
»Ich habe das, was man wohl Qualifikationsmuster nennt. Ich habe meine Chefs kopiert und sie die ihren.«
»Das kann funktionieren«, sagte Hendry, »wenn man nicht etwas Fehlerhaftes kopiert. Dann werden die Kopien mit jeder Generation schlechter.«
»Das meine ich damit«, sagte Villani. »Ich bin ein fehlerhaftes Objekt der x-ten Generation. Bald wird es unbrauchbar sein.«
Das sagte er, ohne nachzudenken, mit einigen Drinks intus, und er wusste, dass es stimmte. Er war ein verschwommenes Abbild von Cameron, Colby und Singo. Und, zunächst einmal, war er eine schlechte Kopie von Bob Villani. Das Aussehen, die Größe, die Haare, die Hände – das alles stimmte. Doch die Mängel, all die unliebsamen Eigenschaften, sie wurden verstärkt: der Egoismus, die Treulosigkeit, die Blindheit, die Zwänge, der Brunsttrieb.
Alles Schlechte.
Doch das Rückgrat, der Schneid, der Mut, da hatte er eine Niete gezogen. Diese Dinge waren bei Bob ganz hoch entwickelt, aber bei seinem Erstgeborenen verkümmert.
Max lachte, kleine Verschlusslaute.
»Was Sie da gerade sagten, das bestätigt meine Instinkte«, sagte er. »Ich mag kluge Menschen, ich entdecke sie auf zig Kilometer Entfernung. Das ist so ziemlich das Einzige, was ich richtig gut kann. Wäre mein alter Herr Müllmann gewesen, würde ich heute auf ’ner Baustelle schuften.«
Sie rauchten, tranken, die Cognacdämpfe stiegen in die Nase.
Vicky kam wieder nach draußen.
»Schlingel beim Spielen«, sagte sie. »So gern ich auch herumsitzen, Cognac trinken und eine dicke Zigarre rauchen würde, ich muss passen. Bin erschöpft. Ich würde sagen, fix und alle, wenn ich nicht so eine Dame wäre.«
Villani stand auf und bedankte sich. Sie drückte seine Arme und küsste ihn halb auf die Lippen. Durch den Zigarrenqualm erhaschte er den Duft ihres Parfüms.
»War uns ein Vergnügen, Steve«, sagte sie. »Sie sind jetzt ein Mitglied der Freitagsbande. Auf vielfachen Wunsch, wie ich erwähnen möchte. Außerdem müssen Sie unbedingt mal übers Wochenende ins Tal kommen. Ich schicke Ihnen eine Einladung.«
Sie ging hinter Max’ Stuhl vorbei, blieb stehen, beugte sich hinunter und küsste Max auf die Stirn. »Auch wenn es schwerfällt, Schatz, aber versuch bitte, vor dem Morgengrauen ins Bett zu kommen.«
»Ausgezeichnete Menschenkennerin, diese Frau«, sagte Hendry. »Hat sich bisher erst einmal geirrt. Aber zurück zum Thema.«
»Ich hab’s vergessen.«
Hendry blies einen dicken, rollenden Rauchring. »Das hab ich in der Schule gelernt«, sagte er. »Mehr fällt mir aus meiner Schulzeit nich ein. Egal, hat keinen Zweck, um den heißen Brei zu reden, ich will Ihnen einen Job anbieten. Einen fetten Job.«
»Sie brauchen die schlechte Kopie eines toten Cops?«, sagte Villani.
»Einen operativen Chef für Stilicho. Sie wissen ja über Stilicho Bescheid. Das im Kasino war ein
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