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Wahrheit (Krimipreis 2012)

Titel: Wahrheit (Krimipreis 2012) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Temple
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abgewandt und geweint.
    Er dachte an DiPalma und Orong. DiPalma, Juradozent an der Monash University, ehe er die Berufung verspürte. Vermögensrecht. Pachtverhältnisse. Übertragungen. Mein Gott, was wusste er von der Straße, dem Abschaum, der zerrissenen Welt?
    Orong. Orong war ein Nichts. Einen Abschluss in Community Studies an dem ehemaligen Footscray Tech College. Politik und Soziologie. Er war immer in der Politik gewesen, hatte schon als Jugendlicher an Türen geklopft, ein Strippenzieher.
    Er ging online, gab »Orong« ein. Ein Foto des jüngeren Orong mit Stuart Koenig aus dem Western Citizen . Koenig hielt Orongs rechten Arm hoch, als hätte der Blödmann gerade einen Boxkampf gewonnen. Die vorletzte Wahl. Neuer Abgeordneter für Robertsham. Villani ging auf eine politische Website namens Brumaire 18 und suchte nach Orong. Dort fanden sich Dutzende von Einträgen, er las einen der früheren.
    SCHLANGEN UNTER VOLLDAMPF
    Es war wieder ein schwarzer Tag für die Demokratie, als das dreiundzwanzigjährige Reptil Martin »Schlangenmaul« Orong sich in dieser Woche zu seinem sogar noch widerwärtigeren Mentor Stuart Koenig im Parlament gesellte. Koenig verdankt sein politisches Überleben selbstredend
der kleinen Viper mit den gegelten Haaren aus den westlichen Vororten. Als er noch Koenigs Bürojunge war, brachte Orong eigenhändig vielerlei in dessen Wahlkreis unter, von äthiopischen Analphabeten bis zu der »samoanischen Rausschmeißergemeinde«, wie er sie bekanntlich nannte. Koenig und Orong sind auch im Privaten Kumpel. Die beiden wurden einmal von einem Schneesturm auf Koenigs Familiensitz am Mount Buller eingeschlossen, als sie eigentlich auf einer Parteiveranstaltung in Canberra sein sollten .
    DiPalma und Orong nahmen an, dass er sich wie geheißen verhalten, die Finger von Koenig und Prosilio lassen würde. Sie hatten sich aufgeführt, als hätten sie die Macht, ihm Befehle zu erteilen. Und diese Macht hatten sie tatsächlich, wenn er Angst vor dem hatte, was sie ihm antun konnten.
    War es Singleton auch so ergangen? War er bedroht, gezwungen worden, Ermittlungen einzustellen? Singo hatte immer von dem Griff gesprochen – von Leuten, die ihn hatten, die etwas bewirken, verhindern konnten. Hatten andere Menschen Singo im Griff gehabt?
    Es war schwierig, sich bei dem Job nicht von irgendwem greifen zu lassen.
    Es war und blieb ein korrupter Job. Warum auch nicht? Unterirdische Bezahlung, schlimme Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen, Risiken. Er brauchte nur wenige Tage, um herauszufinden, wer seine Kollegen waren: die Unterbelichteten, die Schulhofschläger, Bodybuilder, Kampfsportfanatiker, Kontrollfreaks, Adrenalinjunkies, Einzelgänger, Kinder aus Polizistenfamilien, Kinder alleinerziehender Mütter.
    In Uniform dämmerte ihm allmählich, was der Job wirklich bedeutete. Man befasste sich ein Leben lang mit den Unehrlichen, den Fahrlässigen, den Abartigen, den Abseitigen, den Verzweifelten, den Grausamen, den Gefühllosen, den Bösartigen, den Besoffenen, den Drogensüchtigen, den zeitweise
Verwirrten und den dauerhaft Gestörten, den Kranken und Betrübten, den Sadisten, Sexbesessenen, Kinderschändern, Exhibitionisten, Frauenschlägern, Kinderschlägern, Selbstverstümmlern, den Mördern, Muttermördern, Vatermördern, Brudermördern, Selbstmördern.
    Manche von ihnen tot.
    Man konnte rasch in die Andersartigkeit abgleiten, sich von der zivilen Welt entfremden, ein Anspruchsdenken entwickeln. Was war schon dabei, wenn man nicht den vollen Preis für seine Kleidung, für die chemische Reinigung zahlte, wenn man Kaffee, ein Sandwich gratis bekam, wenn Menschen einen in Kneipen zu Drinks einluden? Manchmal konnte man sich ein Lotterielos nehmen, ohne zu bezahlen. Leute gaben einem Tipps für Pferdewetten, luden einen in Clubs ein, man konnte nach der Schicht hingehen und einen Kumpel mitbringen, alles ging aufs Haus, die besten Mädchen.
    Nenn mir nur deinen Namen. Du wirst schon erwartet.
    Sie machten einen glauben, man sei der attraktivste Mann des Jahres, man machte Erfahrungen, die man normalerweise weder bei einem Date noch mit seiner Frau machte. Wenn man besoffen war, gab einem irgendwer irgendwas. Und eines Tages kam der Anruf.
    Scheiße, Alter, so’n Drecksack hält mich auf der Tulla Road an, war ’n bisschen zu schnell, klar. Die Strafe ist unwichtig, Mann, auf die Scheißpunkte kommt’s an, ich muss sonst noch das verdammte Fahrrad flottmachen, leg mal ein Wort mich ein, geht das?

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